aus dem Netzwerk Insider Juni 2023
Vielleicht haben Sie in der Vergangenheit eine unserer Veranstaltungen zu WLAN oder zu Mobilfunk besucht. Dann werden Sie sich daran erinnern, wie wir die Evolution dieser Funktechniken herleiten. Es werden, so scheint es, immer höhere Bitraten erzielt. Die Entwickler lassen sich alle erdenklichen Tricks einfallen, um die Physik wenigstens ein bisschen zu überlisten. Die Namen solcher Tricks kennen Sie. Beispiele sind Quadraturamplitudenmodulation (QAM), Multiple Input Multiple Output (MIMO) oder Beamforming.
Nur, leider lässt sich die Physik nicht überlisten. Wo kein ausreichender Funkkanal ist, lässt er sich nicht herzaubern. Der tatsächlich vorhandene Funkkanal zwischen Sender und Empfänger entscheidet über Wohl und Wehe der Funkverbindung. Reicht er nicht aus, muss man entweder die Sendeleistung erhöhen, Richtantennen einsetzen oder sich näher zum Sender hinbegeben.
So ein Funkkanal ist im einfachsten Fall eine Sichtverbindung, wie beispielsweise zwischen Satelliten und Bodenstation. Komplexere Fälle sind Funkkanäle innerhalb von Gebäuden. Hier gibt es eine Vielzahl diskreter Dämpfungen (Wände, Decken, Schränke, bedampfte Scheiben etc.). Doch es gibt auch Reflexionen, wie beispielsweise an metallischen Oberflächen. Meine Kollegen können ein Lied davon singen, wenn sie die WLAN- oder Mobilfunkausleuchtung in Gebäuden simulieren und messen.
Bisher stellen wir uns auf diese Gegebenheiten ein. Der Funkkanal ist gegeben – Punkt. Ist er nicht! Tatsächlich lässt er sich beeinflussen. Die Bahn z. B. plant den Einsatz spezieller Scheiben in Ihren Zügen, die zur Übertragung gängiger Mobilfunkfrequenzen optimiert wurden. So etwas ist auch in Gebäuden denkbar.
Noch besser wäre es, wenn man die Sache dynamisch gestalten könnte. Stellen Sie sich eine beliebig geartete Fläche vor, die Funkwellen genau in die Richtung reflektiert, in der Sie Ihr Mobiltelefon halten. Und wenn Sie sich bewegen, folgt der Funkstrahl Ihnen. Es ist so, als versuche man mit einem Spiegel einen Sonnenstrahl einzufangen und ihn immer genau in das Gesicht einer Person zu lenken, während diese sich bewegt. Als Kind haben Sie sich diesen Spaß bestimmt schon einmal erlaubt.
Zugegeben, bezogen auf Funkwellen ist das Zukunftsmusik. Doch man forscht fleißig daran, wie zahlreiche Fachartikel zeigen, z. B. [1]. Die Rede ist von „Reconfigurable Intelligent Surfaces“ (RIS) zu Deutsch etwa „einstellbare intelligente Oberflächen“. Stellen Sie sich beispielsweise eine Hauswand vor, auf der eine solche RIS befestigt ist. Einfallende Funkwellen werden von der RIS reflektiert. Doch nicht etwa, wie Sie es im Physikunterricht gelernt haben, also „Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“. Stattdessen etwa „Einfallswinkel egal, Ausfallswinkel beliebig steuerbar“.
Wie soll das gehen? Die Rede ist von sogenannten Metamaterialien. Dabei handelt es sich um regelmäßige Strukturen mit elektrisch oder magnetisch wirksamen Elementen. Man stelle sich etwa eine Wabenstruktur vor, in der jede einzelne Wabe mit einem elektrischen Schwingkreis ausgestattet ist. Jeder Schwingkreis ist individuell abstimmbar. Wenn der Abstand zwischen den Waben deutlich kleiner ist als die Wellenlänge einer eintreffenden Funkwelle, lässt sich mittels passender Abstimmung der Schwingkreise der Brechungsindex der Wabenstruktur einstellen. Eintreffende Funkwellen werden in die gewünschte Richtung weitergeleitet.
Die Abstimmung der Schwingkreise kann mit verschiedenen Techniken erfolgen. Angefangen bei Kapazitätsdioden über Ferro-Magnetismus bis hin zu Flüssigkristallen diskutiert man verschiedenste Techniken.
Wer aber steuert, welche Funkwelle in welche Richtung weitergeleitet werden soll? Zu diesem Zweck soll die RIS mit dem Mobilfunknetz kommunizieren und von ihm gesteuert werden. Entsprechende Protokolle werden bereits diskutiert. Eine Studie im Rahmen von 3GPP Release 18 [2] nennt es „Network-controlled Repeaters“. RIS werden – so scheint es – als ein wichtiges Element des zukünftigen 6G-Mobilfunks betrachtet.
Fazit
Der nächste Versuch, die Physik der drahtlosen Nachrichtenübertragung zu überlisten, besteht darin, den Funkkanal zu optimieren. Reconfigurable Intelligent Surfaces (RIS) bündeln Funkwellen auf dem Weg vom Sender zum Empfänger und leiten sie um Hindernisse herum. Basis dafür sind Metamaterialien, die vom Funknetz gesteuert werden. Möglich, dass zukünftig Fassadenelemente von Gebäuden aus Metamaterial bestehen und entsprechend mit Energie versorgt werden müssen.
Letztlich wird dank RIS eine flächendeckende Versorgung mit Millimeterwellen-Mobilfunk, d.h. 5G im Frequenzbereich 24 bis 27 GHz, überhaupt erst möglich. Auf diesen Frequenzen unterliegen elektromagnetische Wellen starker Dämpfung durch jegliche Materie. RIS können Funklöcher stopfen, ohne zusätzliche Basisstationen installieren zu müssen. Ob man Immobilienbesitzer dazu bringt, Fassaden entsprechend auszustatten, erscheint mir derzeit noch fraglich. Innerhalb von Gebäuden ist es jedoch eine interessante Option!
Verweise
[1] IEEE Communications Magazine: Reconfigurable-intelligent-Surface-assisted B5G/6G Wireless communications: Challenges, Solution, and Future Opportunities, Zhen Chen et. al., Januar 2023
[2] 3GPP TR 38.867: Study on NR network-controlled repeaters, 3GPP Release 18, September 2022, https://www.3gpp.org/ftp/Specs/archive/38_series/38.867/