Projektinterview: KI-Einsatz im Contact Center
07.01.26 / mit Nils Wantia sprach Christiane Zweipfennig
aus dem Netzwerk Insider Januar 2026
Künstliche Intelligenz (KI) gewinnt im Contact Center zunehmend an Bedeutung – ein Wandel, der die Branche nachhaltig prägt. Während früher menschliche Mitarbeiter den Kern der Kundenkommunikation bildeten, übernehmen heute fortschrittliche KI-Systeme Routinen und Analysen mit beeindruckender Geschwindigkeit. Die Zukunft der Kundenbetreuung wird daher nicht mehr ausschließlich durch menschliche Interaktion bestimmt, sondern durch ein Zusammenspiel, in dem Künstliche Intelligenz Abläufe effizienter gestaltet, Wartezeiten verkürzt und personalisierte Betreuung unterstützt.
Nils Wantia ist seit über 8 Jahren bei ComConsult beschäftigt und leitet das Competence Center Kommunikationslösungen. Während zu Beginn seiner Tätigkeit Contact-Center-Themen meist nur innerhalb größerer Ausschreibungen zu UC-Lösungen behandelt wurden, gewannen sie in den Jahren seit der Corona-Pandemie zunehmend an Bedeutung. Heute gehören die Planung und Implementierung von Kundenservice-Lösungen zu seinen Aufgabenschwerpunkten innerhalb der Projektarbeit. In diesem Interview berichtet er von seinen Erfahrungen aus mehreren aktuellen Projekten, in denen der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Contact Center immer mehr im Fokus steht.
Worin bestehen aus deiner Sicht die Hauptgründe für den Anstieg von Contact-Center-Projekten in den letzten Jahren?
Oftmals ist es eine Herausforderung, Contact-Center-Systeme zu integrieren, denn sie bestehen nicht nur aus einer einzigen Lösung, sondern immer aus einem Zusammenspiel mehrerer Komponenten: TK/UC-Systeme, Contact-Center-Lösungen, KI-Anwendungen wie Bots und Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM) etc. Dadurch ergeben sich komplexe Schnittstellen und Abstimmungsbedarfe zwischen den einzelnen Bestandteilen. In vielen Projekten bringt das potenziell eine große Umstellung für die Kunden mit sich, besonders wenn sie ihre Contact-Center-Lösungen das letzte Mal vor fünf oder mehr Jahren erneuert haben. Hier hilft unsere gezielte Beratung, um dem Kunden diese neue Situation verständlich zu machen, den Sinn der einzelnen Bausteine zu erklären und den Weg zu einer integrierten Lösung aufzuzeigen. Die spannenden Aspekte solcher Projekte liegen daher oft in den klassischen Beratungsleistungen, die Transparenz schaffen und die Implementierung begleiten.
Momentan bearbeiten wir mehrere Contact-Center-Projekte unterschiedlicher Größe – angefangen von einem großen IT-Dienstleister über einen Versicherungskonzern bis hin zu einem öffentlichen Auftraggeber.
Besonders im Bereich des Kundenservices haben sich in den letzten Jahren Anwendungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz etabliert. Was ist der Grund dafür?
Der Einsatz von KI-Lösungen kann gerade in Contact-Center-Umgebungen nicht nur sinnvoll, sondern auch gut vermittelbar sein, denn hier lassen sich Kennzahlen klar messen, und jeder Investition steht ein nachvollziehbarer Return of Investment (ROI) gegenüber. Anders als bei einer UC- oder Meeting-Lösung gibt es viele Möglichkeiten, aussagekräftige Messgrößen zu generieren. Mit dem Einsatz von Chatbot- oder Voicebot-Technologie kann man die Ergebnisse dann deutlich sichtbar machen: Wie viel mehr Kundenanfragen bearbeitet werden können, wie viel mehr Kundenvorgänge mit derselben Zahl von Agenten möglich werden und ähnliche Kennzahlen. Dadurch lassen sich gut Rückschlüsse auf die Wirtschaftlichkeit einzelner Vorgänge ziehen. Aus diesem Grund setzen viele Unternehmen frühzeitig auf KI im Contact Center, zumal viele Anwendungen sich sinnvoll automatisieren lassen und echte Vorteile bringen.
Die automatische Bearbeitung von Kundeninteraktionen durch künstliche Gesprächspartner (Bots) wird vielfach thematisiert. Welche Bots unterscheidet man?
Es lassen sich grob zwei Kategorien unterscheiden: die klassischen Bots und die neueren sprachmodellbasierten Bots.
Bei klassischen Bots wird genau vordefiniert, welche Schritte der Bot nacheinander ausführt, welche Informationen er sammelt, wie er auf Eingaben reagiert und welche Aktionen er ausführt. Die Entwicklung eines klassischen Bots ist in der Regel mit erheblichem Aufwand verbunden. Neben Aspekten wie Lizenz-, Software- oder Hardwarekosten ist ebenso der Aufwand in der Integration nicht unerheblich, denn es gilt, den Zugriff auf Datenbanken mit Kundeninformationen und weitere Schnittstellen zu bedienen, die es dem Bot ermöglichen, tatsächlich etwas zu bewirken.
Die neueren Bots basieren auf einem Large Language Model (LLM). In Bezug auf die Kundenkommunikation sind sie einerseits deutlich natürlicher, mächtiger und flexibler, andererseits jedoch auch wesentlich unberechenbarer und nicht so gut kontrollierbar wie ein Bot, der selbst aufgesetzt wird. Ist die Infrastruktur vorhanden, wird ein Prompt hinterlegt, der dem Modell die auszuführenden Aufgaben vorgibt, und sofort kann mit dem Chatten begonnen werden. Man kommt relativ schnell zu einem recht beeindruckenden Ergebnis, denn das Modell bietet vielfältige Gesprächsmöglichkeiten, doch kann es keine konkreten kundenbezogenen Handlungen aufbauen, weil dazu der Zugriff auf relevante Daten erforderlich ist. Soll eine wirklich gute Lösung erreicht werden, beginnt bei den modernen Bots die eigentliche Arbeit dort, wo eigene Daten integriert und Schnittstellen zu anderen Programmen eingerichtet werden müssen.
Was sind die Vorteile von Sprach- und Chatbots?
Wir treffen in unseren Projekten noch immer häufig auf Kunden, bei denen einfache klassische Call-Center-Strukturen vorliegen und ein Sprachbot mit verschiedenen Umsetzungsstufen installiert werden soll. Eine einfache Stufe besteht beispielweise darin, dass der Bot zunächst Daten wie Kundennummer und Anliegen erfragt, damit das Routing sinnvoll erfolgt. Allgemein bekannt sind IVR-(Interactive Voice Response-)Menüs, bei denen eine computergestützte Sprachantwort-Systemführung die Anrufer durch eine vorgegebene Menüstruktur leitet. Die Eingabe von Zahlen oder Kundennummern über die Telefontatstatur ist für den Kunden dabei wenig komfortabel. Mit einem Bot lässt sich das deutlich anwenderfreundlicher gestalten, und auch das Routing kann flexibler erfolgen. Wenn ein Kunde beispielsweise mit der Schadensabteilung verbunden werden möchte, muss er nicht mehr warten, bis alle möglichen Optionen vorgelesen wurden, um dann eine Nummer über die Tastatur einzugeben, sondern er kann einfach sagen, was er möchte, und der Bot leitet sein Anliegen entsprechend weiter, was den Komfort und die Geschwindigkeit in der Bearbeitung erhöht. Man sollte jedoch nicht unterschätzen, dass das Einrichten eines Bots immer arbeitsintensiv ist.
Ein weiteres Anwendungsfeld sind textbasierte Bots, sogenannte Chatbots. Statt telefonisch Kontakt aufzunehmen, nutzt der Kunde einen Chatkanal – zum Beispiel über eine App oder meistens über eine Webseite. In der Regel erscheint auf der Webseite unten rechts ein Textfeld, in dem der Bot den Kunden auffordert, sein Anliegen mitzuteilen. Die Informationen kann der Bot an Agenten übergeben. Analog können Chatbots für eine eigene App oder Social-Media-Kanäle wie WhatsApp angeboten werden. Die Agenten müssen allerdings mit dem Arbeiten mit Chatbots vertraut sein, was für sie möglicherweise neu ist und weshalb sie geschult werden müssen.
Ein Bot soll Anrufer zuverlässig identifizieren. Welche Herausforderungen gibt es dabei?
Häufig sollen Anrufer zunächst identifiziert werden. Dazu wird zuerst in der Kundendatenbank anhand der Rufnummer ermittelt, wer der Anrufer sein könnte. Dieser erste Schritt ist relativ simpel. Die Identifikation eines Kunden kann über eine Kundennummer, Versicherungsnummer, Vertragsnummer oder Ähnliches erfolgen – ggfs. verbunden mit einer geeigneten Authentifizierung. All diese Schritte übernimmt ein Bot, bevor gegebenenfalls an einen Agenten weitergeleitet wird.
Wenn der Bot aus der Cloud betrieben wird, muss eine Cloud-Anwendung auf weitere Systeme zugreifen können. Wenn diese auch Cloud-Anwendungen sind, kann das relativ einfach sein. Soll aber eine externe Cloud-Anwendung Zugriff auf interne Systeme erhalten, kann es heikel und komplex werden, insbesondere in Bezug auf Berechtigungen und Sicherheit, und der Aufbau solcher Zugriffe muss sorgfältig geplant werden.
Das waren relativ einfache Beispiele. Es gibt deutlich komplexere Fälle. Wenn ein Kunde etwa eine Kreditkarte sperren lassen möchte, lässt sich das zwar mit dem Bot realisieren, und der Bot muss lediglich erkennen, welcher Kunde welche Karte hat. Er benötigt Zugriff auf ein entsprechendes System, das die Sperrung ausführen kann. Dies muss geeignet implementiert und nicht zuletzt abgesichert werden.
Die meisten Unternehmen mit Contact-Center-Lösungen verwenden eine Kundendatenverwaltungs- oder CRM-Software, in der solche Vorgänge hinterlegt werden, damit der Verlauf nachvollziehbar ist und sich Auswertungen und Reports erstellen lassen. Wenn der Kunde beispielsweise erneut anruft und mit einem Agenten spricht, sollte für diesen sofort ersichtlich sein, was zuvor passiert ist. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass der Bot sämtliche Vorgänge im System erfasst, auch wenn er nicht zum Contact Center selbst gehört.
LLM-Bots können unberechenbar sein. Worin besteht bei ihrem Einsatz das Risiko?
Wenn es sich um ein Large Language Model handelt, kann es vorkommen, dass die Bots fehlerhafte oder irreführende Aussagen formulieren. Zwar hat sich die Qualität verbessert, dennoch bleibt es herausfordernd, die Systeme vollständig zu kontrollieren. Man kann dem Bot per Prompt, also in der Regel über eine Texteingabe, klare Anweisungen geben, welche Informationen verwendet werden dürfen oder welche Themen tabu sind (z. B. keine privaten Details oder politischen Aussagen). Dennoch gibt es Fälle, in denen Modelle ausgetrickst werden können, was ein erhebliches Risiko birgt, beispielsweise im Umfeld von Banken oder Versicherungen. Falschinformationen oder unangemessene Aussagen können einen nicht unerheblichen Schaden verursachen, weshalb in einigen Umgebungen der Einsatz klassischer Bots weiterhin sinnvoller ist.
Welche Vorteile bieten automatische Protokolle und Gesprächszusammenfassungen?
Viele Contact-Center-Agenten sind dazu angehalten, nach jedem Gespräch eine kurze Zusammenfassung zu erstellen, die im CRM-System abgespeichert wird. Das kostet Zeit und wird als mühsam empfunden – auch wenn es sich nur um wenige Sätze handelt. Hier können KI-Systeme einen echten Mehrwert bieten, zumal moderne KI-Lösungen diese Funktionen out of the box anbieten und keine umfangreiche Integrationsarbeit notwendig ist.
Der Agent erhält ein Protokoll oder einen zusammenfassenden Text des Gesprächs als Vorschlag und kann diesen bearbeiten, akzeptieren oder die KI anweisen, den Text weiter anzupassen. Wenn das zugrunde liegende Large Language Modell dabei zu kreativ wird, kann der Agent eingreifen, zumal es sich ohnehin in der Regel um interne Datensätze handelt.
Wozu dient die Sentimentanalyse?
Die Sentimentanalyse – oder auch Stimmungsanalyse – ist eine Methode der künstlichen Intelligenz, die Texte daraufhin bewertet, welches Gefühl oder welche Haltung darin ausgedrückt wird, etwa ob sie positiv, negativ oder neutral sind.
Sie ist einerseits ein gutes Instrument, um zu verstehen, wie Kunden auf den Service generell oder bestimmte Abteilungen oder Agenten reagieren.
Andererseits können auf der Grundlage dieser Ergebnisse auch Maßnahmen getroffen werden. Zum Beispiel kann das Routing entsprechend angepasst werden, um verärgerte Anrufer an besonders geduldige oder geschulte Agenten zu routen oder zufriedenen Kunden zusätzliche Angebote zu machen.
Technisch funktioniert das überwiegend textbasiert: Aus dem Gesprächsprotokoll werden Wörter und Stile analysiert, um die zugrunde liegende Stimmung abzuleiten. Eine Analyse der gesprochenen Sprache ist ebenfalls möglich, wird aber seltener genutzt; der Großteil der Systeme arbeitet mit Textdaten, ähnlich wie bei der Gesprächszusammenfassung.
Wie siehst du die weitere Entwicklung im Contact-Center-Bereich?
Der Markt ist deutlich im Umbruch. Während über viele Jahre hinweg stabile Herstellerstrukturen und eher moderate Entwicklungen zu beobachten waren, hat sich das Umfeld in den vergangenen zehn Jahren grundlegend gewandelt: Neue Anbieter, neue Architekturen und Strukturen prägen den Markt. Die aktuelle Dynamik wird zusätzlich durch den allgegenwärtigen Einfluss von KI-Technologien verstärkt. Im Contact Center entstehen dadurch zahlreiche neue Möglichkeiten, doch auch eine größere Komplexität – etwa in der Frage, welche Systeme integriert, welche Dienste bedient, wie Bots eingebunden werden sollen oder welche Rolle Plattformen wie die TK/UC-Anlage, Kollaborations- und CRM-Lösungen spielen. Gleichzeitig treten neue Anbieter auf, während etablierte Hersteller an Bedeutung verlieren. Insgesamt entsteht ein äußerst bewegliches Umfeld, das die Branche nachhaltig verändert und weiterhin hohe Dynamik verspricht.





