Projektinterview: Leitfaden zur Digitalisierung eines kommunalen Netzbetreibers
02.09.2024 / Lennard Drängmann
aus dem Netzwerk Insider September 2024
Spätestens seit Inkrafttreten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes Anfang des Jahres stehen Netzbetreiber unter Druck, ihre Digitalisierungsprojekte voranzutreiben. Zu den traditionellen Aufgaben der Netzbetreiber kommen mit der Digitalisierung neue hinzu. Im Zentrum steht dabei die Erfassung, Speicherung und Auswertung von für die Netzstabilität relevanten Daten.
Lennard Drängmann kam über sein Praxissemester im Rahmen seines Bachelorstudiums in Informatik zu ComConsult. Anschließend verfasste er hier auch seine Bachelorarbeit zum Thema „KI in IT-Sicherheitssystemen“, wobei er von der ComConsult betreut wurde. Da er sich schon immer für Energiewirtschaft interessiert hat, beschloss er als Nächstes, seine Masterarbeit über die Digitalisierung von Energieversorgungsunternehmen bei einem lokalen kommunalen Netzbetreiber zu schreiben. Parallel dazu wurde er weiterhin von ComConsult unterstützt und ist stundenweise als Berater im Bereich IT-Infrastrukturen tätig. Von seiner Masterarbeit berichtet er in diesem Interview.
Deine Masterarbeit befasst sich mit den Maßnahmen, die zur erfolgreichen Digitalisierung von Prozessen bei kommunalen Netzbetreibern notwendig sind. Was waren die ersten Schritte?
Letztes Jahr im November hatte ich ein erstes Treffen bei einem lokalen kommunalen Netzbetreiber mit einem Mitglied der Geschäftsführung, das mir als Ansprechpartner zur Seite gestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Thema für meine Masterarbeit, in der ich mich mit der Digitalisierung von Energieversorgungsunternehmen beschäftigen wollte, noch nicht konkretisiert. Mein Ansprechpartner hat mir vor Ort gezeigt, mit welchen Systemen die Mitarbeiter in den verschiedenen Abteilungen arbeiten und wie im Einzelnen die Daten verarbeitet werden. Es wurde schnell ersichtlich, dass die Daten nicht in einem Gesamtsystem erfasst werden, sondern jeder Bereich für die Verarbeitung und Speicherung von Daten eigene Insellösungen verwendet. Das ist natürlich maximal unpraktisch, denn wenn jede Abteilung für sich Daten verwaltet, weiß die eine Abteilung nicht, was die andere macht. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass Kundenstammdaten in der einen Abteilung in aktueller und in einer anderen in veralteter Form vorliegen. Es stellte sich schnell heraus, dass ein erheblicher Bedarf bestand, die Prozesse bei den Stadtwerken zu digitalisieren. Um die erforderlichen Digitalisierungsmaßnahmen strukturiert vorzubereiten und einzuleiten, habe ich mich entschieden, in meiner Masterarbeit einen Leitfaden für Netzbetreiber zu erarbeiten. Dieser Leitfaden soll der Geschäftsführung als Orientierungshilfe bei der Planung und Umsetzung der Digitalisierung in ihrem Unternehmen dienen.
Was besagt das neue Energiewirtschaftsgesetz EnWG bzw. welche Auswirkungen hat insbesondere dessen Paragraph §14a auf kommunale Netzwerkbetreiber?
Große Elektroverbraucher wie Wärmepumpen und Ladesäulen in Haushalten müssen zukünftig steuerbar sein. Der Netzbetreiber kann, wenn er einen Netzengpass hat, die Energie herunterregeln, ohne dass es für den Endkunden einen spürbaren Komfortverlust gibt. Voraussetzung dafür ist ein IT-System, das die Daten über die einzelnen Endgeräte der Kunden zur Verfügung stellt. Um die Anforderungen des Energiewirtschaftsgesetzes zu erfüllen, wird es höchste Zeit, dass die Netzbetreiber ihre Daten digitalisieren, was bei den meisten noch nicht geschehen ist.
Gibt es eine Deadline, bis wann die Digitalisierung abgeschlossen sein muss?
Das Gesetz ist bereits Anfang des Jahres in Kraft getreten, weshalb die Netzbetreiber nun zunehmend unter Druck geraten. Es gibt einen Plan, welche Maßnahmen bis zu welchem Termin umgesetzt sein müssen. Die Lobby der Netzbetreiber fordert mehr Zeit, was auch verständlich ist, denn von null auf hundert kann man nicht alles digitalisieren. Daher werden die Deadlines immer weiter nach hinten verschoben. Die Netzbetreiber stehen vor einem enormen Arbeitsaufwand, und der Bedarf an Beratung ist immens hoch. Zahlreiche Beratungsunternehmen in der Energiewirtschaft arbeiten aktuell mit Hochdruck daran, die Netzbetreiber bei der Digitalisierung zu unterstützen.
Die Begriffe „Digitalisierung“ und „digitale Transformation“ werden oft synonym verwendet. Was ist der Unterschied?
Digitalisierung bedeutet, etwas Analoges mithilfe digitaler Technologien eins zu eins auf digital umzustellen. Unter digitaler Transformation versteht man den Prozess der Veränderung, vom aktuellen Ist-Zustand hin zu einem angestrebten Ziel-Zustand in der nahen Zukunft. Eine Transformation repräsentiert einen fundamentalen und dauerhaften Wandel. Für die Mitarbeiter verändert sich vieles: Es gibt neue Arbeitsprozesse, andere Abläufe, neue Aufgaben und Verantwortungsbereiche.
Du hast unter den Mitarbeitern des lokalen Netzbetreibers eine Umfrage durchgeführt, in der es um die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen innerhalb der Belegschaft ging. Erzähle bitte davon.
Man kann ein Unternehmen nur erfolgreich digitalisieren, wenn seine Mitarbeiter diesem Vorhaben positiv gegenüberstehen und die Maßnahmen aktiv vorantreiben. Mit der Umfrage wollten wir herausfinden, welche Einstellung die Belegschaft des lokalen Netzbetreibers zu den bevorstehenden Digitalisierungsmaßnahmen hat. Wir haben die Umfrage an rund 300 Mitarbeiter geschickt, tatsächlich teilgenommen haben 94 Personen.
1998 wurde der Strommarkt privatisiert. Netzbetreiber und Stromanbieter trennten sich und die Stromanbieter standen nun in Konkurrenz zueinander. Die Netzbetreiber haben immer noch eine Monopolstellung. Bei ihnen besteht ein großer Teil der Belegschaft aus älteren Mitarbeitern, die noch aus der Zeit der Verbeamtung stammen. Hier herrscht bekanntlich das Vorurteil, dass Beamte besonders bürokratisch, unflexibel und rückständig sind. Interessanterweise zeigte die Umfrage, dass besonders die ältere Generation verstanden hat, dass Digitalisierung im eigenen Unternehmen wichtig ist und weiter ausgebaut werden muss. Hingegen herrschte erstaunlicherweise unter den jüngeren Mitarbeitern teilweise die Meinung, dass eine Digitalisierung eigentlich nicht vonnöten sei.
Die Umfrage ergab weiterhin, dass bei den meisten Mitarbeitern ein grundlegendes Verständnis in Bezug auf die digitale Transformation vorhanden ist und sie diese bei einem so großen Prozess wie der Digitalisierung der Netzbetreiber für wichtig und notwendig erachten. Die Optimierung und Vereinfachung von Prozessen und die Effizienzsteigerung ihrer Arbeit waren häufig genannte Gründe. Die Befürchtung, dass die Digitalisierung einen Personalabbau mit sich bringen würde, bestand nicht. Zwar wurden Bedenken hinsichtlich der Komplexität und des Zeit- und Personalmangels geäußert, die die digitale Transformation erschweren könnten, doch war die positive Grundeinstellung der Belegschaft für den lokalen Netzbetreiber im Hinblick auf die bevorstehenden Maßnahmen eine wichtige Erkenntnis.
Wie verwaltet der lokale Netzbetreiber seine Daten zurzeit?
Hauptsächlich liegen die Daten in Exceldateien vor. Wie gesagt verwaltet jede Abteilung unterschiedliche Daten. Während beispielsweise die Marketingabteilung Kundendaten wie Name, Adresse, Geburtsdatum und Telefonnummer in einer Excelliste pflegt, verwaltet die Technik-Abteilung in einer anderen Exceltabelle, welcher Kunde welche Geräte im Einsatz hat.
Der Einsatz einer relationalen Datenbank wäre für die Kundenverwaltung doch viel einfacher.
Auf jeden Fall. Das ist genau das Problem. Nur ein sehr, sehr kleiner Teil der Netzbetreiber hat eine relationale Datenbank im Einsatz. Die meisten benutzen Excel, vereinzelt wird sogar noch mit Papier und Ordnern gearbeitet. Im optimalen Fall sollte ein umfangreiches Customer-Relationship-Management-System, kurz CRM, zum Einsatz kommen.
Was beinhaltet der Leitfaden, den du erstellt hast?
Der Leitfaden gibt eine Übersicht über alle erforderlichen Schritte, die für eine erfolgreiche Digitalisierung notwendig sind und soll die Netzbetreiber dabei unterstützen, die Digitalisierung bestenfalls in Eigenregie durchzuführen und den Beratungsaufwand zu minimieren.
In einem ersten Schritt wird den Geschäftsführern der Netzbetreiber empfohlen, den Status quo im eigenen Unternehmen zu erfassen. Es sollte festgehalten werden, wie die Daten momentan aufgenommen und gepflegt und wie und wo sie gespeichert werden.
Im nächsten Schritt wird erklärt, wie die Daten zukünftig zu erfassen, verwalten und zu sichern sind. Wie bereits erwähnt, sollte eine relationale Datenbank und idealerweise ein CRM-System eingeführt werden. Ich erkläre in dem Leitfaden, was Customer-Relationship-Management bedeutet und warum sein Einsatz zu empfehlen ist. Wie der Name schon sagt, können mit einem CRM-System sämtliche Kundenbeziehungen, die ein Unternehmen hat, abgebildet und verwaltet werden. In einem Customer-Relationship-Management-System werden alle Kontakte mit dem Kunden wie zum Beispiel der Versand von Dokumenten, eine E-Mail-Korrespondenz oder ein Telefonat aufgenommen und dokumentiert. So hat beispielsweise ein Service-Mitarbeiter Einsicht in die komplette Historie eines Kunden und ist auf einen Blick darüber informiert, welche Geräte ein Kunde zu Hause installiert hat und was das Ergebnis des letzten Telefonats war. Der Vorteil an diesen Systemen ist, dass die Kundenstammdaten zentral angelegt werden und es in den verschiedenen Abteilungen keine unterschiedlichen, falschen oder doppelten Datensätze mehr gibt.
Ein wichtiger Punkt ist die Sicherheit. Es muss gewährleistet werden, dass die Verarbeitung und Speicherung der Daten DSGVO-konform erfolgt. Die Zugriffsberechtigungen müssen klar geregelt werden, damit Mitarbeiter oder einzelne Abteilungen nur auf die Daten zugreifen können, zu deren Nutzung sie berechtigt sind.
Der Leitfaden geht auch darauf ein, wie Sicherheitskopien der Daten erstellt werden sollten. In Zusammenhang mit der Speicherung der Daten wird der Unterschied von Data Lakes und Data Warehouses diskutiert. Die Geschäftsleitung kann dann selbst abwägen, welche Methode sie für ihr Unternehmen bevorzugt. Ein weiteres Thema ist das Event-Streaming. Hierbei geht es darum, dass Prozesse in sogenannten Event-Streams zusammengeführt werden. Wenn beispielsweise ein Service-Mitarbeiter die Beantragung eines neuen Anschlusses erhält, wird über das System automatisch eine Benachrichtigung an die zuständige Abteilung zur weiteren Bearbeitung ausgegeben.
Sind damit alle wichtigen Punkte im Leitfaden enthalten?
Ja, die wesentlichen Aspekte sind abgebildet. Ich werde die Masterarbeit in vier Wochen fertigstellen. Möglicherweise entdecke ich in dieser Zeit bei meiner beratenden Tätigkeit vor Ort noch Probleme und wir entwickeln dafür Lösungen. Dann würden vielleicht noch ein bis zwei Punkte im Leitfaden dazukommen.
Was ist dein Fazit aus deiner Zeit bei dem lokalen Netzbetreiber?
Ich hatte Kontakt zu mehreren Beratern aus dem Bereich Energiewirtschaft. Aus diesen Gesprächen habe ich schlussfolgern können, dass der lokale Netzbetreiber, mit dem ich das letzte Dreivierteljahr zusammengearbeitet habe, schon relativ große Fortschritte auf dem Weg zu Digitalisierung gemacht hat. Viele Betreiber setzen darauf, fertige Systeme einzukaufen. Leider wird dann festgestellt, dass diese Vorgehensweise oft nicht die Lösung aller Probleme bietet. Der lokale Netzbetreiber hat sich aus meiner Sicht für den besseren Weg entschieden, indem er die Digitalisierung schrittweise an seine individuellen Bedürfnisse und Anforderungen angepasst hat und diese nun umsetzt. Meiner Einschätzung nach hat der lokale Netzbetreiber seine Digitalisierung schon in größeren Teilen umgesetzt als die meisten anderen Energieversorgungsunternehmen. Wenn alle Vorhaben auch so realisiert werden, hat er Vorbildfunktion für die Branche.