aus dem Netzwerk Insider September 2025
Vor über zweieinhalb Jahren habe ich in einem Blog geschrieben: „Ich weiß nicht wann, doch ich weiß, dass auch der Cloud-Hype den Sättigungsgrad erreichen wird, wie jeder IT-Trend. Der sich ergebende Zustand ist zumindest für die meisten mittleren bis großen Organisationen eine Kombination von OnPrem- und Cloud-basierenden Diensten und Applikationen.“ Dieser Zustand tritt nun ein.
Cloud-only?
Im oben zitierten Blog habe ich die zum Zeitpunkt der Erscheinung des Textes noch vernommene These erwähnt, dass alles „oder zumindest das Gros der zentralen IT-Ressourcen“ in die Clouds wandere. Ich habe die These infrage gestellt und bin stattdessen vom Abflachen des Cloud-Hypes ausgegangen.
Meine Firma, ComConsult, hat zu keinem Zeitpunkt den Cloud-only-Weissagungen Glauben geschenkt. Selbst zu Zeiten, in denen einige Entscheidungsbefugten in den Institutionen unserer Kunden das Ziel proklamierten, in wenigen Jahren das eigene RZ stillzulegen, wussten wir um die Richtigkeit der in denselben Institutionen geäußerten Bedenken und Einschränkungen. Inzwischen sind einige OnPrem-Rechenzentren, deren Schließung das Ziel war, größer als damals und wichtiger denn je.
Ich möchte die Existenz bestimmter Organisationen nicht bestreiten, die außer Endgeräten keine physische IT nutzen. Doch handelt es sich bei diesen Organisationen fast nur um kleine Firmen. Wie schon 2022 erwähnt nutzen die meisten mittleren bis großen Organisationen eine „Kombination von OnPrem- und Cloud-basierenden Diensten und Applikationen“. Ich behaupte, dass es zumindest in Deutschland mehr mittlere bis große Organisationen gibt, die keine Hyperscaler-Cloud nutzen als solche, die ohne ein OnPrem-RZ auskommen.
Was ist mit Cloud gemeint?
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist mit „Cloud“ weniger eine im Sinne der Definition des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gestaltete moderne IT mit Merkmalen wie Mandantenfähigkeit und Self Service gemeint. Mit Cloud wird landläufig eine Hyperscaler-Cloud assoziiert, allen voran die drei größten von Amazon, Google und Microsoft. Wenn also seit zehn Jahren immer wieder Kampf- und Schlagwörter wie „Cloud-only“ oder „Cloud-first“ genutzt wurden, war gemeint, dass die OnPrem-Rechenzentren gegenüber den größten Clouds an Bedeutung verlieren würden, bis hin zur völligen Bedeutungslosigkeit.
Während die Cloud-only-Strategie von den meisten IT-Eingeweihten nie ernst genommen wurde, war und ist dies bei „Cloud first“ anders. Cloud first bedeutet eine Präferenz für externe Clouds bei der IT-Weiterentwicklung. Meistens lässt sich eine Cloud-first-Strategie so zusammenfassen, dass bei jeder Entscheidung, zum Beispiel für die Einführung oder Modernisierung einer IT-Applikation, zunächst Cloud-basierende Varianten geprüft werden und die OnPrem-Alternative nur dann gewählt wird, wenn es gewichtige Gründe gegen eine Cloud-Lösung gibt.
Cloud-first bedeutet eine Präferenz
Die mit „Cloud frist“ gemeinte Präferenz für große Clouds bedeutet eine Voreingenommenheit. „Cloud first“ behandelt die Varianten einer Entscheidung nicht gleich. Letztlich bedeutet diese Ungleichbehandlung, dass es Fälle gibt, in denen man entweder wirtschaftliche oder technische Nachteile in Kauf nimmt, nur um der Cloud-first-Strategie gerecht zu werden.
Ich möchte nun meinerseits eine Absage an Cloud-first im oben genannten Sinn aussprechen. Meiner Meinung nach ist nichts „strategisch“ wichtiger als die Interessen der eigenen Institution, für die man eine Entscheidung treffen muss.
Es kann durchaus sein, dass man mit gutem Grund zum Beispiel auf eine preiswerte Lösung verzichtet, weil die Zukunftssicherheit der betreffenden Lösung bezweifelt werden muss. Sowohl Cloud only als auch Cloud first wurden teilweise mit der vermeintlich fehlenden Zukunftssicherheit von OnPrem-Rechenzentren begründet. Dabei spielt die Angst eine Rolle, in Zukunft mit dem eigenen OnPrem-RZ als Exot oder IT-Dinosaurier dazustehen.
Diese Angst kann man jetzt zerstreuen. Verschiedene Umstände und Entwicklungen tragen zum Abflachen des Cloud-Hypes bei.
Gründe für die Cloud-Ernüchterung
Um Missverständnissen vorzubeugen, weise ich zunächst darauf hin, dass ich mit „Cloud-Ernüchterung“ eine „Hyperscaler-Ernüchterung“ meine. Zu diesem Zustand tragen verschiedene Faktoren bei, von denen ich einige ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufführe:
- Globalpolitische Verwerfungen legen eine neue Sicht auf Hyperscaler-Clouds nahe. Auch wenn sich die USA und die EU zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes auf die vorläufige Beilegung ihres Zollkonfliktes geeinigt haben, kann niemand mehr von der heilen Welt des grenzenlosen, globalen Marktes für Waren und Dienstleistungen ausgehen. Hyperscaler-Clouds können immer als Waffe im Wirtschaftskrieg benutzt werden. Die Frontverläufe der künftigen Wirtschaftskriege sind volatil. Vorsicht vor zu großer Abhängigkeit von Hyperscaler-Clouds ist geboten.
- Spätestes seit dem Deepseek-Schock weiß man, dass die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) nicht die ungeheure Materialschlacht voraussetzt, die sich nur die größten Cloud-Betreiber leisten können. Selbst IBM gibt diese Tage viel Geld für die Werbung aus, in deren Mittelpunkt „Small Models“ für KI stehen. Dabei gilt IBM, auch wenn nicht als einer der größten, doch als großer Cloud-Anbieter. Das Argument, nur in Hyperscaler-Clouds lässt sich KI nutzen, gehört der Vergangenheit an.
- Die Assoziation von OnPrem-Rechenzentren mit antiquierten Implementierungen in Teilen von Büro- oder sonstigen Gebäuden gehört der Vergangenheit an. „OnPrem“ sind alle RZ-Flächen, die man mit selbstbetriebener oder im Auftrag betriebener exklusiver Hardware bestückt. Das schließt insbesondere professionell betriebene Rechenzentren ein, in denen die gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffizienz und sonstige Regeln eingehalten werden, die ein modernes RZ ausmachen. Der Markt für professionell betriebene Rechenzentren boomt. Solche RZ-Flächen sind kein Alleinstellungsmerkmal der Hyperscaler.
Cloud jenseits der Hyperscaler
Räumt man mit „Cloud only“ und “Cloud first” auf, stellt sich die Frage nach den Details des Zustands, den ich eingangs kurz skizziert habe, nämlich nach den Details der Kombination von OnPrem- und Cloud-basierenden Diensten und Applikationen. Ich bestreite keinesfalls einen de facto Cloud-Zwang in bestimmten Bereichen.
Ein solcher Bereich ist Unified Communications and Collaboration (UCC). Kommunikation und Kooperation kann nicht mehr auf dafür genutzte organisationsinterne Lösungen beschränkt werden. Mit UCC meine ich nicht nur Videokonferenzen. Mit einem Standardbrowser kann man an jeder Videokonferenz teilnehmen, unabhängig davon, auf welcher Cloud- oder OnPrem-Plattform die Konferenz durchgeführt wird.
Kooperation ist jedoch mehr als Echtzeit-Audio/Video. Organisationsübergreifendes File Sharing, Messaging etc. lassen sich unter Nutzung von Cloud-Plattformen, wie sie von Microsoft oder Google betrieben werden, viel einfacher nutzen als mit OnPrem-Lösungen. Noch sind die UCC-Preise der Cloud-Betreiber nicht so hoch, dass man Alarm schlagen müsste. Hinzu kommt, dass es noch einen Markt für UCC-Plattformen gibt. Microsoft und Google sind nicht allein in diesem Markt. Eine sehr auf Risikominimierung bedachte Institution muss natürlich den Umstand bewerten, dass die meisten gängigen UCC-Cloud-Plattformen von US-Anbietern betrieben werden. Will man die damit einhergehenden Risiken eliminieren, kann man immerhin auf einige kommerzielle oder Open-Source-Lösungen zurückgreifen, die es gibt. Insofern ist eine Cloud-Exit-Strategie bei UCC zumindest vorstellbar.
Ich habe im Insider vom November 2024 auf den speziellen Fall des Netzmanagements aus der Cloud hingewiesen, das in einigen Fällen wie bei SD-WAN durchaus mit Vorteilen verbunden ist.
Es gibt somit sehr wohl eine Cloud-Welt jenseits der Hyperscaler. Externe Clouds sollten daher nicht mit Hyperscaler-Clouds gleichgesetzt werden.
Hybrid Cloud
Neben der vorteilhaften Nutzung externer Clouds gibt es auch die technisch und wirtschaftlich durchaus sinnvollen Szenarien der Nutzung eines eigenen Rechenzentrums. Es gibt viele branchenspezifische Lösungen, für die es faktisch keinen Cloud-Markt gibt. Die sinnvollen OnPrem-Lösungen beschränken sich nicht nur auf sogenannte Legacy-Applikationen, die irgendwann abgelöst werden. Ein Cloud-Markt entwickelt sich meistens dann, wenn es eine kritische Masse potenzieller Nutzer gibt. Diese kritische Masse wird auch in Zukunft für eine Reihe von IT-Lösungen nicht erreicht werden.
Die Existenz branchenspezifischer Applikationen ohne einen Markt für Software as a Service (SaaS) wurde und wird in keiner Cloud-only- oder Cloud-First-Strategie bestritten. In solche Strategien wurden daher auch Infrastructure as a Service (IaaS) und Plattform as a Service (PaaS) aufgenommen. Hierzu gibt es zwei Erkenntnisse:
- Die 1:1-Verlagerung von Legacy-Applikationen auf das IaaS-Modell eines Hyperscalers ist in kaum einem Fall wirtschaftlich und technisch sinnvoll.
- Die Entwicklung neuer branchenspezifischer IT-Anwendungen unter Nutzung von Plattformen in Hyperscaler-Clouds ist durchaus gängig, jedoch nicht nur dort. Kubernetes und sonstige Plattformen gibt es auch außerhalb der Hyperscaler-Clouds.
Insofern empfiehlt sich, den Begriff „Hybrid Cloud“ anders zu definieren als die Kombination des eigenen Rechenzentrums mit AWS, Azure oder GCP. Eine Rückbesinnung auf die einschlägige Definition von Hybrid Cloud, nämlich die Kombination einer privaten Cloud mit öffentlichen Clouds, ist sinnvoll. Dabei bedeutet private Cloud nichts anderes als ein Software-Defined OnPrem Data Center mit Cloud-Eigenschaften wie Selbstbedienung, Mandantenfähigkeit und Automatisierung. Zugegeben, private Clouds kamen in den letzten Jahren nur mühselig voran. Broadcom hat mit der Übernahme von VMware und der anschließenden Lizenzpolitik dem Markt für private Clouds sehr geschadet. Dieser Markt wird sich jedoch erholen, und dabei wird VMware nur einer der Anbieter sein. Angesichts der überall zu dünnen IT-Personaldecke werden Cloud-Eigenschaften wie Self Service dringend benötigt.
Fazit
Der Hype um die größten Cloud-Plattformen weicht einer bunteren Welt, in der es nicht mehr von „only“ und „first“ die Rede ist. Wie schon immer vermutet und übrigens seit Jahren in einem Seminartitel der ComConsult Akademie manifestiert, ist die Hybrid Cloud das RZ der neuen Generation. Hybrid Cloud bedeutet dabei die Kombination aus privater Cloud und öffentlichen Clouds, die nicht auf die Hyperscaler beschränkt sind.





