Planung, Konzeption und Ausschreibung zur Migration bestehender ISDN-Anschlüsse auf einen SIP-Anbieter
05.12.22 / mit Frank Sujata sprach Christiane Zweipfennig
aus dem Netzwerk Insider Dezember 2022
Das endgültige Ende des ISDN-Netzwerks rückt immer näher. Der Technologie-Umstieg von ISDN auf All-IP ist unumgänglich und wird jedes deutsche Unternehmen früher oder später treffen. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden auch die letzten Telekommunikationsprovider ihre ISDN-Funktionen abschalten, sodass es höchste Zeit wird, den Technologiewechsel in Angriff zu nehmen. Ist die Kündigung des Providers erst einmal da, ist oft keine Zeit mehr, um die Umstellung gründlich und störungsfrei vorzubereiten.
Frank Sujata ist gelernter Fernmeldeelektroniker und Industriemeister für Nachrichtentechnik und seit 11 Jahren Mitarbeiter bei ComConsult im Competence Center Kommunikationslösungen beschäftigt. Als ausgebildeter Projektmanager begleitet er die Kunden durch sämtliche Projektphasen, angefangen bei der Analyse des Marktes über die Planung und Konzeption einer neuen Kommunikationslösung bis hin zu deren Ausschreibung und Umsetzung. In vielen Großprojekten namhafter Konzerne hat Frank Sujata die Umschaltung von dezentralen lokalen Kommunikationsanlagen auf eine zentrale Kommunikationslösung inklusive zentralem SIP-Trunk federführend konzipiert und bis zur Produktivschaltung betreut. Von einem dieser Projekte erzählt er in diesem Gespräch.
Welche Beweggründe haben Unternehmen, von ISDN auf All-IP umzusteigen?
Es gibt zwei Motive, warum Unternehmen zu SIP-Trunks wechseln. Zum einen existiert Druck vom Markt. Auf absehbare Zeit wird es kein ISDN mehr geben, es wird von den Providern abgekündigt. Seit mehreren Jahren arbeiten die Provider bereits daran, ihre Netze auf IP umzustellen. Das hat mit den Privatanschlüssen angefangen und ist mittlerweile auch in der Unternehmenswelt angekommen. Zum anderen haben IP-basierte Anschlüsse eine Menge Vorteile. IP-Anschlüsse sind performanter und sicherer und man kann die komplette Netzarchitektur der Telefonanschlüsse umstrukturieren und auf einen zentralen Anschluss konsolidieren.
ComConsult wurde von einem Versicherungskonzern damit beauftragt, die Umstellung der bestehenden ISDN-Zugänge auf SIP-Trunks bei der Konzeption, Ausschreibung und Umsetzung zu begleiten. Welche Abteilungen waren an dem Projekt beteiligt?
Die ISDN-Technik ist völlig losgelöst von der Netzwerktechnik. Hier ist klassisch die TK-Abteilung zuständig. Da der neue SIP-basierte Anschluss auf das Basisnetzwerk migriert, müssen in das Projekt weitere Abteilungen mit einbezogen werden. Da ist zum einem die Security-Abteilung, die für die Firewall verantwortlich ist, und zum anderen die Netzwerk-Abteilung, die für die Switche und die Netzwerktopologie zuständig ist. Weiterhin müssen organisatorische Abteilungen involviert werden, was sich beispielsweise durch die Rufnummernportierung ergibt. Die Zusammenarbeit aller beteiligten Bereiche ist ein wichtiger Bestandteil innerhalb eines SIP-Trunk-Projektes.
Wird es die TK-Abteilung zukünftig überhaupt noch geben?
Ja und nein. Die TK-Abteilung gibt es im Prinzip noch, ist allerdings oft schon in die IT-Bereiche integriert, dort jedoch immer noch klassisch eigenständig mindestens in einer Gruppe organisiert. Bei unserem Kunden sind es drei Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit Telekommunikationstechnik beschäftigen und mit Aufgaben wie Benutzerverwaltung, Konfiguration und Systempflege auch voll ausgelastet sind. Doch wachsen sie mit der IP-Technologie natürlich viel stärker in den Netzwerkbereich.
Wie war die Ausgangslage beim Kunden? Wie sah die Phase der Ist-Analyse aus?
Wie in den meisten Projekten standen wir am Anfang vor der Situation, eine über viele Jahre gewachsene Kommunikationslösung vorzufinden, über die es keine aktuelle und detaillierte Dokumentation gab. Wir haben deshalb zunächst den Ist-Zustand aufgenommen und dokumentiert, welche Systeme vorliegen, wo diese stehen, wie viele Anschlüsse es gibt und so weiter. Neben der Zentrale mit 600 Kanälen gab es beim Kunden 19 deutschlandweite Regionaldirektionen mit insgesamt rund 600 weiteren Kanälen. Wir haben mit den verantwortlichen Mitarbeitern der einzelnen Standorte Interviews geführt, um herauszufinden, ob Besonderheiten vorliegen, die es zu berücksichtigen gilt. Das kann zum Beispiel eine spezielle Analogschaltung sein, die wir in irgendeiner Form abbilden müssen. Es ist in der Phase der Ist-Analyse ganz wichtig, mit allen zu sprechen und jeden mit einzubeziehen, damit auch wirklich alles erfasst wird.
Welches Konzept hat ComConsult vorgestellt?
Bei der Konzepterstellung geht es um die Frage: Welche Möglichkeiten haben wir? Wir haben drei infrage kommende Optionen in einem Gremium vorgestellt. Eine Möglichkeit war die Eins-zu-eins-Abbildung. In diesem Fall bekommen die Zentrale und jede Regionaldirektion einen IP-basierten Anschluss mit jeweils lokaler Hardware, lokalem Management und lokalem Service. Die zweite Variante war eine Teilreduzierung, bei der kleinere Regionaldirektionen an größere angeschlossen werden. Die dritte Alternative war, einen einzigen zentralen Anschluss für die Zentrale inklusive sämtlicher Lokationen umzusetzen. Vor dem Hintergrund unserer jahrzehntelangen Projekterfahrung haben wir eine Empfehlung für diese dritte Möglichkeit ausgesprochen, die bereits erwähnten 600 zentralen und 600 dezentralen Kanäle im Hauptsitz zu einem zentralen Anschluss zusammenzuführen.
Was sind die Vorteile eines zentralen IP-basierten Anschlusses?
Bei einem zentralen Anschluss hat man nur zwei große Geräte, die man sowieso aus Redundanzgründen gebraucht hätte. Alle Telefonnummern von den einzelnen Regionaldirektionen werden auf den zentralen Anschluss der Zentrale migriert. Man behält die lokalen Telefonnummern, hat jedoch eine zentrale Stelle mit entsprechender Hard- und Software, die konfiguriert und betrieben wird. Die Handhabung ist viel einfacher, die Synergieeffekte sind enorm und bieten Einsparpotential.
Ein IP-basierter Anschluss braucht eine aktive Netzwerkkomponente, den Session Border Controller. Ihr habt die verschiedenen Hersteller untersucht. Mit welchem Ergebnis?
Der Session Border Controller – oder kurz SBC – ist ein sehr wichtiges Element, das auch vom BSI vorgeschrieben wird. Der SBC trennt das klassische Daten-IP-Netz sicherheitstechnisch vom IP-basierten Telefonnetz. Wir haben uns die führenden Hersteller auf dem Markt angeschaut. Da der Kunde Microsoft Teams im Einsatz hatte, haben wir empfohlen, dass wir Geräte untersuchen, die Microsoft-Teams-zertifiziert sind, damit Microsoft Teams mit in die IP-basierte Kommunikation eingebunden werden kann. Wir haben eine Marktbetrachtung erstellt und dem Kunden in Management-Folien vorgestellt sowie eine Empfehlung für einen am Markt führenden Hersteller abgegeben, der auch den Zuschlag bekommen hat.
Was war für den Kunden das wichtigste Kriterium bei der Auswahl eines geeigneten Session Border Controllers?
Oberste Priorität hatte der Aspekt der Sicherheit. Banken und Versicherungen unterliegen der BaFin-Prüfung und müssen BSI-zertifiziert sein. Deshalb kam für das Versicherungsunternehmen nur ein zertifizierter Hersteller infrage, der die geforderten Security-Einstellungen erfüllt. Daneben waren klassische Leistungsmerkmale wichtig wie zum Beispiel bestimmte Konfigurationseinstellungen, eine bestimmte Leistungsfähigkeit und so weiter. Und es musste wie gesagt eine Microsoft-Teams-Zertifizierung vorliegen.
Welche Anforderungen bestanden an das neue Rufnummernkonzept?
Unserem Auftraggeber war es wichtig, dass das vorhandene Rufnummernkonzept eins zu eins übernommen wurde. Für die Kunden des Versicherungsunternehmens sollte die Umstellung von ISDN- auf IP-basierte Anschlüsse unbemerkbar bleiben und keine Veränderung durch neue Rufnummern in ihren Kontaktmöglichkeiten zur Folge haben. Zum einen sollten die direkten Durchwahlnummern der einzelnen Mitarbeiter in der Zentrale und allen Standorten unverändert übernommen werden. Weiterhin sollte auch die zentrale Nummer für die allgemeine Servicehotline beibehalten werden. Man kennt das ja von Banken und Versicherungen. Das sind die kostenfreien 0800-Nummern. Diese Nummern werden bei den Providern gehostet und sind nicht lokal.
Wie hat ComConsult die Ausschreibung begleitet?
Wir von ComConsult haben durch unzählige Projekte sehr viel Erfahrung in der Erstellung von Ausschreibungsunterlagen. Wir haben in der Beschaffungsphase einen Entwurf für die Rahmenbedingungen und einen Kriterienkatalog erstellt und ihn mit dem Einkauf und der Rechtsabteilung abgesprochen und abgestimmt. Dann haben wir in Absprache mit den Technikern des Kunden eine Leistungsbeschreibung aufgesetzt. Sie enthält die Anforderungen, die der Bieter erfüllen muss. Diese Unterlagen – ergänzt um weitere Unterlagen aus der Rechtsabteilung wie beispielsweise Datenschutzgrundverordnung und Geheimhaltungsverträge – wurden als Paket an ausgewählte Bieter versendet. Da es sich um eine private Ausschreibung handelte, haben wir unter den potentiellen Bietern eine Vorauswahl aus den führenden Anbietern getroffen.
Nach der Ausschreibung hat ComConsult die abgegebenen Angebote ausgewertet.
Ja. Wir haben die Fragen der Bieter koordiniert und sie an die entsprechenden Verantwortlichen beispielsweise aus der Rechtsabteilung oder an die Techniker weitergegeben. Die eingegangenen Angebote wurden von uns geprüft und wir haben Bietergespräche geführt, um sich über Unklarheiten auszutauschen. Am Schluss gab es eine Shortlist mit zwei Bietern, mit denen wir tiefere Gespräche geführt haben. Unserem Vergabevorschlag, den wir mit den Stakeholdern diskutiert haben, wurde vom Kunden zugestimmt.
ComConsult hat auch die Migration begleitet. Was ist in dieser Projektphase deine Hauptaufgabe?
Wenn die Migrationsphase beginnt, wechsle ich sozusagen die Rolle. In der Vorbereitungszeit steht meine Funktion als Fachberater mehr im Vordergrund und die der Projektleitung ist im Verhältnis kleiner. Wenn die Migration startet, packe ich als Projektleiter das komplette Projekt an und setze es vom Kick-off bis zur Abnahme auf.
Zusammen mit dem verantwortlichen Mitarbeiter der Firma, die bei der Vergabe den Zuschlag bekommen hatte und nun unser Partner geworden war, habe ich einen Plan für die Migration entwickelt. In diesem Projektplan wurden die einzelnen Arbeitsschritte für die Migration wie Terminplanung, Zusammenstellung der einzelnen Teams und so weiter zusammengefasst. Dadurch, dass ich sehr viele Projekte speziell im SIP-Trunk-Bereich geleitet habe, kenne ich die einzelnen Arbeitsvorgänge und kann sie im Vorhinein steuern, weil ich genau weiß, was zu tun und zu beachten ist. Und das ist bei der Migration eine ganze Menge, denn es ich nicht nur einfach ein Umschalten, sondern es muss vieles geplant und vorbereitet werden, was in der Regel eine Zeit von sechs bis acht Wochen in Anspruch nimmt. Und genau das ist meine Aufgabe als Projektleiter.
Wie ist die Umschaltung auf SIP-Trunks abgelaufen?
ISDN und IP sind zwei komplett voneinander getrennte Technologien. Deshalb konnte die IP-basierte Technologie völlig losgelöst von der bestehenden Anlage, die noch im Einsatz war, parallel schon fertig aufgebaut werden. Es gab zwei Rechenzentren, weshalb alles redundant eingerichtet werden musste. Es wurden Leitungen verlegt, Netzwerktechnik aufgebaut, Netzwerkzonen sowie ein Switch eingerichtet und so weiter. Nach dem Aufbau kam die Testphase. Mithilfe von Testplänen, die wir im Vorfeld geliefert haben, wurden alle Funktionalitäten auf Herz und Nieren geprüft. Diese Testphase ist enorm wichtig und dauerte vier Wochen. Natürlich haben wir nicht vier Wochen an einem Stück getestet. Wir hatten eine Liste mit offenen Punkten und haben dafür einen Testtermin angesetzt. Danach wurden die Punkte über eine Woche abgearbeitet. Dann gab es den nächsten Testtermin und so weiter. Ein typisches Beispiel für einen Test ist der Notruf. Wir haben uns vom Provider Testnummern schalten lassen. Wenn man erst nach der Umschaltung feststellt, dass die 112 nicht funktioniert, ist das ein Problem.
Die Umstellung der IDSN-Anschlüsse auf die IP-basierte Lösung fand an einem Stichtag statt, den wir geplant haben. Es war ein Wochenende. An einem Samstagnachmittag haben wir die ISDN-Leitungen vom Netz genommen und die IP-basierten Leitungen aufgeschaltet. Wichtig war wie gesagt, dass alles gut vorbereitet und umfangreich getestet wurde. Der eigentliche Umschaltvorgang dauerte nicht länger als fünfzehn Minuten.
Was empfiehlst du den Unternehmen, die noch nicht auf eine IP-basierte Lösung umgestellt haben?
Unternehmen, die noch ISDN-Anschlüsse haben, sollten auf keinen Fall warten, bis sie vom Provider gekündigt werden. Von der Analyse, dem Konzept, der Beschaffung bis zur Umsetzung vergehen bei gründlicher Vorbereitung circa zwölf Monate. Deshalb empfehlen wir allen Firmen, die heute noch ISDN im Einsatz haben (und das sind nicht wenige), die Umstellung jetzt anzugehen.