IT-Verkabelung nach EN 50600, Empfehlungen verstehen und umsetzen

05.12.2022 /

aus dem Netzwerk Insider Dezember 2022

Die EN 50600 ist seit vielen Jahren DER Maßstab für die Planung der Infrastrukturen in Rechenzentren. Zu den vielen „Bausteinen“ gehören neben den Regeln zur Planung der Stromversorgung sowie der Sicherungssysteme u.a. auch die Regeln zur Planung der Infrastruktur für die Telekommunikationsverkabelung; zu finden in dem Teil EN 50600-2-4. Jedoch ist die Anwendung dieser Norm nicht ganz so einfach ebenfalls wie die Beantwortung der Frage, wozu man sie brauchen kann und wozu nicht. Sehr leicht lässt sich die Anforderung an den Fachplaner stellen, eine Kommunikationsverkabelung nach EN 50600 zu planen, doch was bedeutet das konkret, welches Ergebnis ist damit verbunden, wieviel Spielraum lässt sie und was findet man nicht in der Norm? Der nachfolgende Artikel setzt den Schwerpunkt auf die Betrachtung des grundsätzlichen Designs der Verkabelung unter dem Aspekt der Verfügbarkeit, wobei Topologie und Verkabelungsart dabei eine wichtige Rolle spielen.

Normenübersicht

Bevor die EN 50600 und damit der Teil 2-4 „Infrastruktur der Telekommunikationsverkabelung“ im Jahr 2015 verabschiedet wurde, führte die Suche nach Leitfäden zur Planung einer TK-Verkabelung für Rechenzentren zu verschiedenen, teilweise sehr gut nutzbaren Richtlinien. Zu nennen sind zum Beispiel:

  • BICSI: Dies ist ein Leitfaden nach ANSI bzw. der „Internationalen Organisation zur Unterstützung der Industrie im Bereich der Systeme zur Informationsübertragung“, mit Empfehlungen zum Design von Rechenzentren mit Betonung auf der Implementierung von Best-Practice-Empfehlungen. Teilweise ließen sich jedoch gerade die Empfehlungen zur Datenverkabelung nur unzureichend auf die besonderen Anforderungen in europäischen Rechenzentren übertragen (Thema „geschirmte Verkabelung“).
  • TIA-942: Auch dieses sehr umfangreiche Dokument hat ein Teilkapitel zum Thema IT-Verkabelung, ebenfalls sehr stark geprägt von amerikanischen Einsatzumgebungen. Die TIA und das Uptime-Institut haben besonders die Tier-Verfügbarkeitsklassen geprägt, und das Dokument bildet die Basis für viele Empfehlungen der späteren EN 50600.
  • BITKOM: Mit dem Leitfaden „Betriebssicheres Rechenzentrum vom „Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.“ wurde bereits früh eine sehr gute Richtlinie angeboten, die viele hilfreiche Informationen beinhaltet, doch wird das Thema IT-Verkabelung nur sehr knapp beschrieben und stattdessen auf die EN 50173 und EN 50174 verwiesen.
  • TÜViT: Der TÜV stellte bereits vor 2015 einen Anforderungskatalog als Leitfaden für eine Auditierung von Rechenzentren zur Verfügung (Erreichen von TÜV-Leveln), in dem das Thema IT-Verkabelung so gut wie keine Rolle spielte – als Planungsleitfaden also nicht nutzbar.
  • EN 50174-2: Tatsächlich widmet sich diese Norm in Kapitel 11 sehr ausführlich sowohl dem Aufbau der Räumlichkeiten eines Rechenzentrums sowie der Kabelführungssysteme und der Planung der Racks. Zusätzlich enthält sie viele Empfehlungen in Zusammenhang mit der IT-Verkabelung.
  • EN 50173-3: Ganz klar, diese Norm ist eine der Basisnormen für die Planung einer IT-Verkabelung in Gebäuden mit Rechenzentrumsnutzung und ist unbedingt anzuwenden. Da diese keine differenzierte Betrachtung der Verfügbarkeit vorsieht, wird dem Anwender allerdings nicht klar, wann er was wie anzuwenden hat.

Mit Ausnahme der EN 50174-2 und EN 50173-3 stellen die genannten Dokumente keine international gültige Normung dar bzw. sind zur konkreten Planung von Rechenzentren, insbesondere unter „deutschen“ Rahmenbedingungen, ungeeignet.

Aus Sicht des Autors war die Enttäuschung mit Einführung der EN 50600-4-2 zunächst doch sehr groß, da sehr viele im Planungsalltag anfallende Fragen nicht in der neuen Norm beantwortet wurden. Teilweise machten es sich die Normenautoren einfach, indem sie auf andere Normen wie z.B. die EN 50174 verwiesen, die dann doch eher unbekannt sind. Nur schwer waren die Unterschiede bei der Erfüllung der verschiedenen Verfügbarkeitsklassen zu verstehen oder erst recht diese in der Planung umzusetzen – was im Übrigen bis heute sehr häufig eine Schwierigkeit darstellt.

Im Laufe der letzten Jahre erschloss sich dem Autor im Rahmen der Anwendung der Norm dann immer öfter die Nutzbarkeit derselben. So erfordert sie neben einem gewissen Maß an Abstraktionsvermögen auch eine ständige Interpretation der teilweise wenig klaren Aussagen. Es sind in der aktuellen 2015er-Version nur einzelne konkrete bzw. unzweifelhafte Handlungs- oder Planungsanweisungen zu finden. Die Norm stellt definitiv keine „Planungsblaupause“ oder kein einfach zu übernehmendes Template dar, was man über eine RZ-Planung stülpen kann und bei dem am Ende eindeutige Lösungen entstehen.

Sie listet eine Menge von Rahmenbedingungen, die gelten müssen, damit man „normkonform“ ist bzw. ein normkonformes RZ plant. Dazu gehören u.a. auch die Anwendung der Norm für Büroverkabelungen (EN 50173-2) oder der Norm für IT-Verkabelungen in Zusammenhang mit  Steuerungen von Anlagen im Gebäude (EN 50173-6). Ersteres gilt, sofern Büroarbeitsplätze zur Unterstützung des IT-Betriebs vorgesehen sind, und Letzteres muss im Prinzip immer gelten. Der vorliegende Artikel setzt den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Verkabelung im Server- bzw. Rechnerraum, häufig auch als „White Space“ bezeichnet. Im Originalbild der EN 50173-5 (siehe Abbildung 1) ist dies verwirrenderweise mit „Rechenzentrum“ ausgewiesen.

Abbildung 1: Topologiebeispiel der IT-Verkabelung nach EN 50173-5

Legende zur Abbildung 1:

  • HÜP: Hausübergabepunkt
  • ENS: Externe Netzschnittstelle (z.B. zu einem Provider)
  • HV: Hauptverteiler (Anbindung an ENS und „50173-1-Verteiler“)
  • ZV: optionaler Zwischenverteiler (in der Regel passiv)
  • BV: Bereichsverteiler
  • Lokaler Verteilerpunkt (optionaler passiver Verteiler)
  • GA: Geräteanschluss

Verfügbarkeit

Den zentralen Dreh- und Angelpunkt aller Teile der EN 50600 – wie auch anderer Richtlinien – bildet die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Verfügbarkeit des jeweiligen Systems, im Teil EN 50600-2-4 der „Telekommunikationsverkabelung“. Dabei beginnt es bereits mit der Frage: Was ist die für das konkrete Rechenzentrum zu fordernde Verfügbarkeit? Bei der EN 50600 stehen dazu 4 Klassen (VK1 bis VK4) zur Verfügung. Im Unterschied zu anderen Normen/Richtlinien wird keiner der Verfügbarkeitsklassen eine Ausfallzeit zugewiesen – die Verfügbarkeitsklasse erfolgt also ausschließlich über das Design der Anlage. Die Ermittlung der Verfügbarkeitsklasse selber ist nicht Gegenstand der EN 50600-2-4. Diese ist vorher mithilfe anderer Normen in Form einer Risikoanalyse für das Gesamtsystem durchzuführen (es erfolgt ein Hinweis auf die EN 31010 „Risikomanagement – Verfahren zur Risikobeurteilung“). Die Erfahrungen des Autors zeigen allerdings, dass in den wenigsten RZ-Projekten kleinerer oder mittlerer Größe eine solche ausführliche Risikoanalyse durchgeführt bzw. dokumentiert wurde. Stattdessen wird einfach auf Basis von anderen – zum Teil wenig beschriebenen – extern oder intern gestellten Anforderungen eine Verfügbarkeitsklasse (VK) festgelegt, in der Regel sogar eine sehr hohe.

Steht diese Verfügbarkeitsklasse fest, lässt sich die EN 50600-2-4 anwenden, und der naheliegende und einfachste Schritt besteht dann darin, sich eine der zu dieser Verfügbarkeitsklasse passenden Topologiedarstellungen „auszusuchen“ und die Verkabelung danach aufzubauen. Doch sehr schnell stellt man fest, dass dieses „so einfach“ ohne Wenn und Aber nicht möglich ist. Um die kleinen oder auch großen Hürden zu begreifen, ist zunächst einmal zu verstehen, was die Verfügbarkeit einer RZ-Funktionalität grundsätzlich prägt. In den allermeisten Fällen reduziert man das auf die Redundanz. Dies führt dann dazu, dass man entsprechende hochverfügbare Topologien wählt, bei der es eine mehr oder weniger ausgeprägte Komponenten- und Pfad-Redundanz gibt. In der höchsten VK4 (siehe Abbildung 2; Hinweis: alle im Artikel gezeigten Bilder sind der Norm Stand 2015 entnommen) kann im Prinzip jedes Teil der Telekommunikationsverkabelung ausfallen, und trotzdem wird eine Konnektivität aufrechterhalten.

Abbildung 2: Topologie der VK4 nach EN 50600-2-4

Vergleicht man die Topologie der VK2 mit der von VK1 (Abbildung 3), so wird die Redundanzsteigerung nur durch die doppelte Provider-Anbindung erreicht, denn ohne die RZ-Anbindung an zwei Provider wird man gemäß EN 50600-2-4 niemals eine höhere Verfügbarkeitsklasse als VK1 erreichen. Ob das jedem RZ-Besitzer oder -Planer so bewusst ist, darf bezweifelt werden. An dieser Stelle erfolgt der Hinweis, dass u.a. dieser Punkt bei der aktuell im Entwurf befindlichen neuen Version der EN 50600-2-4 (September 2022) in Überarbeitung ist. Hier wird die Nutzung eines einzigen TK-Anbieters unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen.

Bei der Redundanz ist kein Unterschied für die Verkabelung im Serverraum zu erkennen (Verkabelung zwischen HV und GA). Beides sind sogenannte „Ein-Wege-Konfigurationen“, und dennoch wird der VK2 auch hier eine höhere Verfügbarkeit als der VK1 attestiert. Also, Verfügbarkeit scheint sich nicht ausschließlich über Redundanz zu definieren. Woher kommt das? Dem gehen wir im nächsten Teil genauer nach.

Abbildung 3: Topologie der VK1 und VK2 nach EN 50600-2-4

Festverkabelung versus Patch-Verkabelung

Prinzipiell kann man die IT-Verkabelung in einem Serverraum auf 3 Möglichkeiten bzw. Szenarien reduzieren:

  • Beide elektronische Komponenten eines Übertragungskanals (z.B. Switch und Server) sind im selben Schrank.
  • Beide elektronische Komponenten eines Übertragungskanals sind im selben Schrank oder in einem direkt angrenzenden Nachbarschrank.
  • Die elektronischen Komponenten stehen nicht im selben Schrank oder direkt angrenzenden Schrank.

Abbildung 4: Möglichkeiten der IT-Verkabelung

Grundsätzlich könnten alle Verbindungen innerhalb eines Serverraums bei den drei Szenarien ausschließlich mit Patch-Kabeln (Normbegriff „Geräteverbindungsschnüre“) realisiert werden. Sofern eine ausreichende Signalstärke gewährleistet ist, ist es der Übertragungstechnik „egal“, ob die Signale durch eine Schnur oder eine feste Verkabelung übertragen werden. Im fest verlegten Kabel wird das Bit nicht besser übertragen als in der Schnur, das sollte also keinen Einfluss auf die VK haben. Und trotzdem wird die ausschließliche Verwendung von Geräteverbindungsschnüren in der EN 50600-2-4 nur bei der VK1 zugelassen. Bei der VK2 „muss eine fest installierte Verkabelungsinfrastruktur (z. B. nach EN 50173-5 oder anwendungsspezifisch) in den in EN 50173-5 definierten Teilsystemen der Verkabelung für die Auslegung der Übertragungsstrecke“ verwendet werden. Die Erfahrung des Autors zeigt, dass diese sehr konsequente Forderung nicht jedem RZ-Nutzer sofort verständlich ist. Viel zu häufig findet man auch größere Rechenzentren, bei denen über sehr lange Strecken, schrank- oder sogar reihenübergreifend Geräteverbindungsschnüre verwendet werden.

Diese „strenge“ Forderung nach einer Festverkabelung lässt sich am besten verstehen, wenn man in Zusammenhang mit der Verfügbarkeit zwischen „Mean Time Between Failure“ (MTBF) und „Mean Time To Repair“ (MTTR) differenziert. Eine hohe Redundanz stellt sicher, dass bei entsprechend ausgelegtem Design der Anlage der Ausfall eines Teilelementes (das kann ein Rack, eine Trasse, ein Kabel o.Ä. sein) zu einem automatischen oder sehr schnellen Umschalten führt, was wiederum die Ausfallzeit minimiert (MTBF). An nachfolgendem sehr simplem Beispiel (Abbildung 5) wird deutlich, dass man diese Redundanz prinzipiell ausschließlich mit Geräteverbindungsschnüren realisieren kann, dies allerdings nicht gleichwertig zu einer Kombination von Festverkabelung und Patch-Kabel ist:

In der Rack-Reihe A befindet sich ein Server, der mit Patch-Kabeln an zwei Switches in unterschiedlichen Reihen redundant angeschlossen ist (implizit: lange Patch-Kabel). Würde beispielsweise das Patch-Kabel zum Switch in Reihe B ausfallen, so erfolgt das automatische Failover zum Switch in Reihe C, die MTBF wäre minimal. Eine Reparatur/Erneuerung des Patch-Kabels könnte, je nach Länge der Strecke und Qualität der Kabelführungssysteme, sehr aufwendig sein und Stunden dauern; in dieser Zeit befindet sich das Rechenzentrum bzw. die mit dem Server verbundene Applikation in einem kritischen Zustand. Wäre stattdessen die Verbindung zwischen Rack in Reihe A und den Racks in Reihe B und C mit einer Festverkabelung realisiert worden und dann ein defektes Patch-Kabel auszutauschen gewesen, könnte dies viel schneller erfolgen – selbst bei einem defekten Anschluss auf der fest installierten Strecke könnte ein Wechsel auf einen Reserve-Anschluss sehr schnell stattfinden. Damit ist im Grunde die Reparatur-Zeit deutlich besser (MTTR) und die Verfügbarkeit der Anlage gestiegen.

Abbildung 5: Simples Beispiel zur Server-Anbindung

Die Norm beschränkt ganz konkret den Einsatzbereich von Patch-Kabeln: Grundsätzlich darf eine Punkt-zu-Punkt-Verkabelung (= reine Patch-Verkabelung) „nur für Verbindungen innerhalb des gleichen oder zweier nebeneinanderliegender Schränke, Gestelle oder Rahmen verwendet werden. Es soll zum einen die Betriebsfreundlichkeit gesteigert werden, „damit die Auslegung für schnelle Umzüge, Erweiterungen und Veränderungen ausreichend flexibel und skalierbar ist“. Zum anderen wird die Verfügbarkeit verbessert, indem das Risiko, „andere Infrastrukturen zu beeinträchtigen“, reduziert wird, da sich die „Patch-Tätigkeiten“ nur innerhalb des Racks bzw. maximal bis zum Nachbar-Rack ausdehnen.

Die Betrachtungen gelten unabhängig von der Verfügbarkeitsklasse. Im Prinzip wird ein Verbot für Patch-Verkabelungen ausgesprochen, die reihenübergreifend durchgeführt werden bzw. wo dies zentraler Bestandteil des Verkabelungskonzeptes ist.

In der Praxis der Fachplanungen führt die Empfehlung der Vermeidung von langen Patchungen zu sehr vielen Diskussionen. Wo liegt die Grenze bzw. ab wann würde ein Konzept nicht mehr einer bestimmten VK entsprechen bzw. wie würde ein EN-Auditor dies bewerten? Wäre z.B. ein „Middle of Row“-Prinzip, bei dem in einer Fünfer-Reihe mit einem MoR die Schränke ausschließlich über Patch-Kabel angebunden sind, nur noch maximal VK1?

Losgelöst von der normativen Betrachtung ist noch ein praktischer Aspekt anzuführen, der in Zusammenhang mit der Patch-Verkabelung zwischen Nachbarschränken steht. Natürlich ist die Versuchung groß, auf die Festverkabelung zwischen Netzwerk-Rack (z.B. als MoR) und direkt angrenzenden Server-Racks zu verzichten, die dazu erforderlichen Kosten könnte man sich sparen, und es wäre – wie wir gesehen haben – auch normkonform. Dies setzt jedoch voraus, dass es zwischen den Racks keine Schottwände gibt, die man aus klimatisierungstechnischen Gründen oft vorsieht, oder die Schottwände entsprechende Kabeldurchführungen haben (siehe Abbildung 6).

Abbildung 6: Schottwand zwischen zwei Racks mit Aussparung

Redundanz in der Ebene Bereichsverteilungsverkabelung

Ein sensibler Punkt bei der Verfügbarkeitsbetrachtung ist „das letzte Stück“ in der Kabelanlage, die Verbindungen zwischen dem Bereichsverteiler (typischerweise ein Rack mit MoR- oder EoR-Funktion und darin enthaltener Netzwerk-Komponenten) und dem Server-Rack. Diese Bereichsverteilungsverkabelung ist, wie in Abbildung 2 zu erkennen, bei VK4 höchstverfügbar auszulegen, konkret:

  • Eine Festverkabelung ist gefordert und damit Rangierfelder im Bereichsverteiler (BV) und im Server-Rack.
  • Es müssen zwei BV „angefahren“ werden, sinnvollerweise in zwei Racks.
  • Die Kabel müssen wegeredundant geplant werden.

Neben den ohnehin hohen Verkabelungskosten muss bei der Planung der Kabeltrassen darauf geachtet werden, dass diese zudem den Redundanzanforderungen gerecht werden, was ebenfalls zu hohen Kosten führt, und zwar bedingt durch die große Menge an zu verlegenden Kabeln und breiten Trassen. Die Planungspraxis zeigt, dass häufig dieses letzte Stück aus Kostengründen in einer reduzierten Verfügbarkeit vorgesehen wird. Die Anbindung erfolgt nur an einen Bereichsverteiler, und auch auf doppelte Kabelpfade wird verzichtet. Da die anderen Verkabelungsebenen gemäß Norm hochverfügbar ausgelegt werden, sprechen viele dann von einer „VK3-Plus“ oder „VK3,5“, was es so normativ natürlich nicht gibt.

Zwischenverteiler

Wie bereits gezeigt unterteilt die EN 50173-5 die IT-Verkabelung in 4 Ebenen. Eine relativ „unbekannte“ Ebene bzw. eher bei großen Rechenzentren zu findende Ebene ist die Zwischenverteilungsverkabelung. Sie wird gebildet, wenn es keine direkte Verbindung zwischen Hauptverteiler und Bereichsverteiler gibt, sondern der Zwischenverteiler diese Verbindung auftrennt. So richtig deutlich und klar wird nicht, wie dieser auszusehen hat. Ist er rein passiv oder kann er auch aktive Netzwerk-Komponenten aufnehmen? Wenn er „aktiv“ wäre, welche Switch-Komponenten könnten dann dort stehen, wenn im HV mit Core-Switches und im BV mit Server-Access-Switches zu rechnen ist? Wenn er „rein passiv“ wäre, was wäre dann der Sinn? Antworten bzw. Hilfe zur Entscheidung, ob man einen ZV einrichten soll oder nicht, sucht man in der Norm vergeblich. Fakt ist, dass die meisten Rechenzentren weder über eine aktive noch passive ZV verfügen, wenn eine strukturierte Verkabelung vorgesehen wird.

Was sagt die EN 50600-2-4 zu diesem Strukturelement? Die Norm aus dem Jahr 2015 erklärt ebenfalls nicht, ob und wann dieses Element zu verwenden ist, sie erklärt nur, wie es zu verwenden ist. Allerdings kann nach Norm jeder Verteiler und auch der Zwischenverteiler durch eine spezielle Konfiguration in einen passiven Verteiler „umfunktioniert“ werden, und dieser Verteiler wird damit zu einem passiven Rangierverteiler bzw. zentralen Rangierort umgewandelt.

Die Spezifikation eines passiven Rangierortes bringt Vorteile in Bezug auf mögliche Umzüge von Komponenten (insbesondere Netzwerk-Komponenten). Das lässt sich wie folgt erklären: Wird man im Rahmen der Rack-Planung festlegen, in welchen Racks die aktiven Netzwerk-Komponenten stehen sollen, so ist klar, dass von allen Server-Racks aus eine strukturierte Verkabelung zu den Netzwerk-Racks aufzubauen ist (Bereichsverteilungsverkabelung). Würden im Laufe des RZ-Betriebs diese Netzwerk-Komponenten in ein anderes Rack umziehen (müssen) oder würden in anderen Racks neue Netzwerk-Komponenten platziert, so wäre die BV-Verkabelung in erheblichen Teilen anzupassen. Sieht man dagegen einen passiven Rangierort zwischen Server-Racks und Netzwerk-Racks vor, so verlaufen alle festen Kabelstrecken über diesen zentralen Punkt, und die Verbindungen müssen dort durchgeschaltet werden – daher auch der englische Begriff Cross-Connect-Point. Änderungen in der Verkabelung würden sich vereinfachen.

Dieses Durchschalten geht grundsätzlich mit Twisted-Pair – dank der zulässigen Anzahl von 4 Verbindungen in einer Strecke – wird jedoch bevorzugt bei Glasfaser verwendet. Mit diesem Medium taucht folgende Schwierigkeit auf: Schaut man sich die zulässigen Dämpfungsbudgets der modernen Übertragungsverfahren für Multimode an (Beispiel: 40GBASE-SR mit 1,5 dB bei OM4), so wird eine Durchrangierung mit gängigen LWL-Steckverbindern kaum oder gerade eben noch möglich sein (4 notwendige Steckverbindungen benötigen alleine schon fast 1,5 dB). Die Nutzung der Cross-Connect-Funktion z.B. bei 10GBase-SR (2,9 dB) bei Multimodefaser oder bei fast allen Singlemodefasertechniken wäre kein Problem.

Dieses Problem macht u.a. die Nutzung eines zentralen Rangierortes für SAN nur schwer möglich. Abbildung 7 zeigt die Stellen, in denen die 4 Steckverbindungen zu erwarten sind, wenn man den ZV auch zum Aufbau des Speichernetzes verwenden würde. Diese Einschränkung führt sehr häufig dazu, dass zusätzlich zum Aufbau einer strukturierten Verkabelung mit den genannten Verkabelungsebenen eine weitere, davon losgelöste feste Verkabelung zwischen den Racks der SAN-Distributoren und den Server-Racks aufgebaut wird.

Abbildung 7: Verbindungsanzahl SAN-Verkabelung über ZV

Update der EN 50600

Seit September 2022 gibt es eine aktuelle, neue Version der EN 50600-2-4, allerdings derzeit noch als Entwurf. Es ist zu einer erheblichen Überarbeitung gekommen (Erhöhung der Anzahl von Seiten um 20), bei der teilweise die oben angezeigten Defizite beseitigt worden sind und erklärende Abbildungen und Textbausteine besser helfen zu verstehen, wie die gezeigten Beispiele oder Lösungen zu interpretieren sind. Dazu jetzt im letzten Teil des Artikels kurz ein paar Beispiele.

Erkennbar ist eine Abkehr von der bisherigen Verfahrensweise aller Verkabelungsnormen, die Verteiler als zentrale Planungspunkte darzustellen. Stattdessen betrachtet man eher den Verteilungsbereich, der sich von einem Verteiler ausgehend „aufspannt“, im Prinzip also die Verkabelungsebene.

Weiter zu nennen ist die Optimierung wichtiger Topologie-Darstellungen, beispielhaft dargestellt im vorliegenden Artikel durch Abbildung 8: Vergleicht man dieses Bild z.B. mit Abbildung 2 und Abbildung 3, so fällt es einem deutlich einfacher, die Elemente der Verkabelungsebenen auch räumlich zuzuordnen. Zum einen wird erkennbar, dass man die Verkabelung auf der obersten Ebene für die Standortversorgung und die dem Serverraum zugeordneten Ebenen der „Netzwerkverteilung“ vorsieht und zum anderen, dass der Zwischenverteiler oder der Bereichsverteiler (bzw. die Zwischenverteilungsverkabelung und Bereichsverteilungsverkabelung) als optionale Elemente gesehen werden. Im Grunde genommen würde also ein einziger Hauptverteiler, in dem sich die Netzwerk-Komponenten befinden, ausreichen.

In vielen Beispielbildern des Anhangs werden auch die Einbauorte von konkreten Netzwerk-Komponenten wie z.B. Router schematisch erfasst.

Abbildung 8: Angepasste Darstellung der EN 50600-2-4 (2022)

Abbildung 9 zeigt das Beispiel einer Verkabelung für eine Spine-Leaf-Architektur bei einer VK3-Topologie, bei der die Anzahl der Verteilerbereiche und der Verkabelungsebenen reduziert wurde. Achtung, es sei nochmal darauf hingewiesen, dass diese Bilder auch innerhalb der Norm „nur“ als Beispiele zu sehen sind, um dem Nutzer der Norm ein besseres Verständnis zu ermöglichen, was letztendlich zu einer sinnvollen Planungsumsetzung beiträgt. Sie stellen keine Planungsanweisung dar.

Abbildung 9: Angepasste Darstellung der EN 50600-2-4 (2022) mit Beispiel für Spine-Leaf-Architektur

Man widmet den zum Raum gehörenden Infrastrukturen wie den Kabelwegen, Doppelböden und Schränken deutlich mehr Aufmerksamkeit. Es gibt damit zusätzlich zur EN 50174-2 weitere Anforderungen an diese Elemente, die zu berücksichtigen sind.

Existierten bislang keine Empfehlungen oder Ratschläge dazu, wann eine (geringere) Verfügbarkeitsklasse angemessen ist, dann ist dies jetzt anders. Zu jeder VK gibt es den Hinweis „Eine Lösung der Klasse xyz (….) ist angemessen, wenn die folgende Liste von Lösungsmerkmalen in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Risikobewertung annehmbar ist“, und diesem Hinweis folgen dann mehrere Merkmale. Beispiel für ein Merkmal: Die Risikobewertung würde zum Ergebnis kommen, dass „ein Einzelfehler oder eine routinemäßige geplante Wartung eines Elements der Verkabelung im Telekommunikations-/Standortversorgungspfad“ zu einem Dienstausfall im Hauptverteiler führen darf. Unter dieser Annahme kann eine VK2-Verfügbarkeit zugelassen werden bzw. wäre angemessen.

Fazit

Bereits am Anfang der Norm werden die vier Grundsätze Redundanz, Instandhaltbarkeit, Skalierbarkeit/Zukunftssicherheit und Einfachheit aufgeführt, die bei der Planung der Telekommunikationsverkabelung inklusive Architektur und Kabelwege anzuwenden sind. Die Norm macht deutlich, dass Schutzmaßnahmen gegen Fehler in einem oder mehreren Teilen der Verkabelungsinfrastruktur in Betracht gezogen werden müssen. Klare Aussagen, wie das zu erfolgen hat, macht die Norm allerdings immer noch nicht, und damit erlaubt sie sehr unterschiedliche Interpretationen, wie eine Verkabelung zu realisieren ist. Diese Offenheit kann als Manko gesehen werden, doch auch als Chance, die passende Lösung zu den eigenen Anforderungen und Rahmenbedingungen zu finden.

Anwendungsneutrale IT-Verkabelung richtig geplant
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