TGA und IT, Hochzeit wider Willen?

20.04.2021 / Hartmut Kell

Hartmut Kell

Sie ist nicht mehr aufzuhalten – die Digitalisierung hört nicht bei der Bürokommunikation auf, „IP all over the World“ dringt in Bereiche ein, in denen jahrzehntelang traditionelle und hochspezialisierte Übertragungstechniken den Ton angegeben haben. Dazu gehört der elektronische Informationsaustausch zur Überwachung und Steuerung von technischen Anlagen eines Gebäudes (TGA), Stichwort „Smart Building“.

Natürlich hat der Datenaustausch bisher ausreichend und zuverlässig mit den bestehenden Technologien wie KNX, DAL, SMI-Bus oder Ähnlichem funktioniert, doch für einige dieser Techniken ist es Zeit zu gehen. Die Motivation resultiert nicht daher, dass es elementare Defizite gibt, sondern weil in Zusammenhang mit der Digitalisierung sehr interessante Mehrwerte existieren, z.B. solche, die die Effizienz erhöhen (Beispiel Energieeinsparung) oder einfach nur schick sind (Steuerung der Beleuchtung über das eigene Smartphone). Um diese Mehrwerte zu erhalten, ist es notwendig, von überall und jedem IP-unterstützenden Endgerät aus, Zugriff auf die Elemente einer TGA zu bekommen, was wiederum voraussetzt, dass die TGA mittels IP „vernetzt“ wird.

Demzufolge wird es in naher Zukunft mindestens zwei wichtige, das komplette Gebäude durchdringende Kategorien von IT-Applikationen  geben – die TGA-IT und die Common-IT. Letzteres weiterhin mit deutlichem Fokus auf Bürokommunikation.

Mittel- und langfristig ergibt es keinen Sinn, dass zwei vollkommen parallele und autarke Netz-Infrastrukturen von unterschiedlichen Experten geplant und betrieben werden. Bei diesem Lösungsansatz wird man zum einen niemals die Mehrwerte in vollem Umfang nutzen können, und zum anderen ist durch die Verdoppelung mit hohen Mehrkosten zu rechnen (doppelte Verkabelung, doppelte Elektronik-Hardware, doppelt vorzuhaltendes Know-how).

Wer soll jetzt aber die Verantwortung für Planung und Betrieb der IT übernehmen?

Wie bei jeder Ehe liegt die Stärke in der Ergänzung von zwei Partnern, die durchaus unterschiedlich sind, doch ein gemeinsames Ziel haben. Auch bei dem Thema „Digitalisierung eines Gebäudes“ ist das so: Die klassischen TGA-Planer besitzen in Zusammenhang mit den besonderen Technologien zur Klimatisierung, Stromversorgung, Zutrittskontrolle etc. ein Expertenwissen, welches auf sehr unterschiedliche Spezialisten verteilt wird – es gibt dort niemanden, der alle Bereiche kompetent abdecken kann. Genauso ist es bei der IT-Planung. Auch hier verteilt sich das Expertenwissen auf sehr unterschiedliche IT’ler. Da gibt es u.a. Spezialisten für die Kommunikationsverkabelung, Spezialisten für die Planung von aktiven Netzkomponenten und Security-Experten.

Beide Expertengruppen müssen also aufeinander zugehen und ihre jeweiligen Stärken mit einbringen. Ignorieren die TGA-Experten das über Jahrzehnte aufgebaute Spezialwissen der IT, weil ja jeder zu Hause schon mal ein Netz aufgebaut hat und das alles doch recht einfach scheint, so ist insbesondere unter dem Aspekt der Verfügbarkeit heute schon absehbar, dass es zu umfangreichen Ausfällen bei technischen Gebäudeanlagen kommen wird. Umgekehrt darf sich auch kein IT-Spezialist anmaßen, die Besonderheiten bei einem IP-Netz für technische Gebäudeanlagen vollumfänglich zu kennen und hier wie bei jedem Common-IT-Netz vorzugehen.

Aus Sicht des Autors ist somit eine Hochzeit der TGA und IT unter Respektierung der Kernkompetenz des jeweils anderen unvermeidlich. Eine Vereinnahmung der einen durch die anderen, wie bei der Telefonie in den 90er-Jahren, ist kaum vorstellbar.

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