Kürzlich habe ich in einem Blogbeitrag mit dazugehörigem Netzwerk-Insider Artikel die aktualisierten Standortkriterien für Rechenzentren des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) beleuchtet. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei der Abstand zu möglichen Gefahrenquellen wie Erdbebengebieten, Kernkraftwerken oder Tankstellen. Da könnte man ja auch auf die Idee kommen, die Daten direkt zum Mond zu schießen.
Ein RZ auf dem Mond
Klingt absurd – doch genau diesen Ansatz verfolgt das US-Startup Lonestar Data Holdings, das „Resiliency as a Service“ anbietet [1]. Die Idee dabei: Wir schießen ein Rechenzentrum zum Mond, dann sind die darin gespeicherten Daten weit weg von möglichen Desastern auf der Erde und dementsprechend „sicher“. Rechtliche Fragen wie die staatliche Hoheit über den physischen Aufbewahrungsort sind ein anderer Grund – der Mond gehört nicht zum Staatsgebiet eines Landes auf der Erde. Als Teil einer privaten Mondlandemission des US-Unternehmens Intuitive Machines aus Houston hat sich kürzlich das erste Lonestar Datacenter auf den Weg zum Mond gemacht.
Das „Rechenzentrum“, das zum Mond geschickt wurde, ist dabei als erster Versuch zum Proof of Concept (PoC) gerade einmal so groß wie ein Hardcover-Buch [2]. Das 3D-gedruckte Gehäuse, das auf der Außenseite des Athena-Landers von Intuitive Machines befestigt wurde, ist etwa 1kg schwer und beinhaltet eine Phison SSD mit einer Kapazität von gerade einmal 8TB. Doch Raumfahrt ist schwierig und teuer genug, da muss man klein anfangen.
Bruchlandung
Dass die Raumfahrt erhebliche Risiken mit sich bringt, musste auch Lonestar schmerzlich feststellen. Nach der mehrtägigen Reise auf der SpaceX-Rakete gab es dann die herbe Enttäuschung: Die Landung des Athena-Landers missglückte. Statt aufrecht auf der Oberfläche zu stehen, liegt der Lander, der das sogenannte Freedom Data Center von Lonestar an Bord hatte, nun keine 100 km vom Südpol des Mondes entfernt auf der Seite [3]. Durch die extrem tiefen Temperaturen auf dem Mond und der aufgrund der Seitenlage suboptimalen Einstrahlung auf den Solarzellen des Athena-Landers muss man davon ausgehen, dass die Batterien nicht mehr geladen werden können. Die „sicheren“ Daten auf dem Mond sind damit wohl auch früher oder später Geschichte. Schließlich brauchen SSDs zumindest hin und wieder Strom, damit die gespeicherten Daten nicht dauerhaft verloren gehen und deren Integrität sichergestellt werden kann.
Trotz aller Schwierigkeiten ist es dennoch interessant, sich Gedanken über die Anforderungen für ein mögliches Rechenzentrum und insbesondere von SSD-Speichern auf dem Mond zu machen. Die Wahl des Speichermediums fällt dabei allein schon durch die zu erwarteten Erschütterungen bei Start und Landung einer Rakete auf SSDs, die im Vergleich zu HDDs mechanisch deutlich robuster sind.
Das Problem der Datenübertragung
Der Mond ist weit von der Erde entfernt. Für die Entfernung zum im Mittel 380.000 km entfernten Mond brauchen Licht bzw. elektromagnetische Wellen wie Radiowellen ungefähr 1,26 Sekunden. Das entspricht also einer Round-Trip-Time (RTT) von über 2,5 Sekunden. Jede Einbindung in einen aktiv-aktiv-RZ-Verbund schließt eine solche RTT natürlich direkt aus. Zudem ist es nicht unbedingt einfach, hohen Netzdurchsatz umzusetzen, mit dem man schnell viele Daten vom Mond zurückholen könnte. Datenraten von 100-200 Mbps, wie sie bei Satellitenkommunikation über Starlink oder ähnliche Systeme versprochen werden, reichen da oftmals nicht aus. Typische Anforderungen an eine Enterprise-Disaster-Recovery-Lösung sehen anders aus.
Eine Datenverbindung zum Mond braucht ebenfalls Änderungen in den fundamentalen IT-Bausteinen, über die man sich sonst selten Gedanken machen muss. Zum Beispiel ist verlässliche Datenübertragung mit TCP eine der wichtigsten Säulen unserer Kommunikation. In Umgebungen mit extrem langer RTT, vielen Paketverlusten und Jitter, wie es bei der Übertragung zum Mond der Fall ist, geht die Leistung üblicher TCP-Algorithmen in den Keller. Raumfahrt ist aber nichts fundamental Neues, sodass es für diese Spezialfälle ebenso passende Erweiterungen bzw. Alternativen zu TCP gibt. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Space Communications Protocol Specifications (SCPS) oder die Technik des Delay-tolerant Networking (DTN), die genau für solche Anwendungsfälle entwickelt wurden.
Hochverfügbarkeit
Gehen wir davon aus, dass die Datenübertragung – wenn auch langsam – schon irgendwie machbar ist. Dann bleibt immer noch die Frage, was der Betrieb eines Rechenzentrums auf dem Mond für praktische Herausforderungen mit sich bringt. Zwar ist es nicht einfach möglich, defekte Hardware in einem Rechenzentrum auf dem Mond auszutauschen, bei entsprechender Dimensionierung eines Rechenzentrums mit hochverfügbarer und redundanter Auslegung der Bestückung sollte dies zumindest mittelfristig kein grundsätzliches Problem sein. Das hat zum Beispiel das Unterwasserrechenzentrum von Microsoft im Rahmen des Forschungsprojektes Natick gezeigt [4].
Kühlung oder Heizung?
Auch wenn Pink Floyd es anders besingen, gibt es streng genommen keine „Dark Side of the Moon“. Ein Mondtag dauert etwa vier Erdwochen, sodass in diesem Zeitraum alle Seiten des Mondes Licht und Schatten sehen. Insgesamt führt dies zu extremen Temperaturschwankungen auf dem Mond: Bei Tag werden Temperaturen von 130 °C erreicht, und in der Nacht sinkt die Temperatur auf -160 °C. Dieser Schwankungsbereich übertrifft den Operationsbereich von SSDs bei Weitem. Kühlung oder Heizung ist also notwendig.
Auf dem Mond gibt es zudem keine Atmosphäre. Wie führt man dann die Wärme in einem RZ auf dem Mond ab? Da hilft nur die Kühlung durch Abstrahlung der Wärme. In der Physik kennt man das Plancksche Strahlungsgesetz, das die Wärmestrahlung eines schwarzen Körpers vorhersagt. Der schwarze Körper beschreibt dabei nicht die Farbe des Objektes – auch wenn das auf den Aufbau des Freedom Data Center zutreffen würde – sondern steht für eine idealisierte thermische Strahlungsquelle.
Wenn wir davon ausgehen, dass eine typische SSD eine Betriebstemperatur von etwa 50 °C erreicht, kommen wir auf etwas mehr als 300 W/m2 Abstrahlleistung nach dem Planckschen Strahlungsgesetz. Wie oben erwähnt hat das Freedom Data Center in etwa die Größe eines Buches, damit kommen wir auf ungefähr 10-15 W Abstrahlleistung. Eine handelsübliche SSD verbraucht allerdings nur 5-6 W, was von der Lese- und Schreibgeschwindigkeit abhängt. Und das nur, wenn aktiv gelesen oder geschrieben wird. Im Standby-Modus reichen bereits 50 mW. Sofern nicht zu viel verdichtet wird, sollte Kühlung der Datenspeicherung kein großes Problem sein, eine Heizung einzubauen ist da schon viel einfacher.
Strahlungsbelastung im All
Auf der Erde sind wir und damit auch alle Technik, die wir nutzen, einer jährlichen Strahlungsbelastung von 2.4 mSv ausgesetzt, wobei der Beitrag kosmischer Strahlung etwa 1/6 beträgt [5]. Wegen des fehlenden Schutzschildes einer Atmosphäre und des Van-Allen-Gürtels durch das Erdmagnetfeld erreicht die kosmische Strahlung auf dem Mond mit Werten zwischen 110 mSv bis 380 mSv ein Vielfaches der Strahlungsbelastung auf der Erde. Die Effekte ionisierender Strahlung sind nicht zu unterschätzen und können dazu führen, dass Daten auf der SSD korrumpiert werden, der Controller beschädigt wird und damit sogar der ganze Speicher nicht mehr nutzbar ist [6]. Eine bessere Abschirmung gegen diese Strahlung oder strahlenhärtere Technologie-Basis ist somit vonnöten.
Zusammenfassung
Insgesamt ist der Betrieb eines Rechenzentrums auf dem Mond also alles andere als einfach. Neben der problematischen Logistik stellt der Betrieb eines Rechenzentrums im All ebenfalls erhebliche Herausforderungen an die Hardware und das Design eines RZ dar. Lonestar ist dabei übrigens nicht der einzige Teilnehmer im Space Race um RZ im All – mit Starcloud steht schon ein Mitbewerber in den Startlöchern [7].
Insgesamt bin ich aber sehr skeptisch, ob aus dem RZ auf dem Mond ausschließlich aus Gründen der Resilienz langfristig mehr wird als ein Publicity-Stunt. Wenn im Falle eines Desasters die Erde so weit zerstört würde, dass ein interkontinentales Backup nicht mehr ausreichen sollte, sondern die Daten vom Mond notwendig wären, dann hätten wir eh ganz andere Probleme.
Zum großen Thema Datensicherheit bieten wir übrigens auch das Seminar „Backup und Archivierung: Mittel und Wege zur digitalen Resilienz“ an.
Quellen
[1] https://www.lonestarlunar.com/
[2] https://www.dezeen.com/2024/05/10/big-moon-3d-printed-data-storage/
[5] Guenther Reitz, Thomas Berger, Daniel Matthiae, Radiation exposure in the moon environment, Planetary and Space Science 74 (1), 78-83 (2012). https://doi.org/10.1016/j.pss.2012.07.014
[6] https://files.futurememorystorage.com/proceedings/2015/20150812_FF21_Costenaro.pdf





